Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Traumschlange

Titel: Traumschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
Vom Netzwerk:
drei Tagen vertrockneten die zierlichen Pflanzen zu braunen Gespinsten und starben ab, hinterließen hartschaligen Samen, der ein, zwei, auch drei Jahre überdauerte, bis ein neuer Regenfall den Kreislauf erneut in Gang brachte. Aber heute abend war die Luft trocken und still und deutete keinerlei Veränderung an.
    In der Ferne schimmerte Lichtschein. Schlange, die eingenickt war, schrak ruckartig aus einem Traum hoch, in dem der Verrückte sie verfolgt und seine Laterne sich immer mehr genähert hatte. Bis jetzt war sie sich selbst nicht darüber im klaren gewesen, wie fest sie davon überzeugt war, daß er ihr noch immer nachschlich, sie in der Nähe umlauerte, getrieben von undurchsichtigen Beweggründen.
    Aber das Licht voraus stammte von keiner Laterne, die jemand bei sich trug, es war unbeweglich und von gleichmäßigem Schimmer. Im leichten Wind wehte ihnen das Knistern trockener Blätter entgegen – sie kamen zur ersten Oase auf dem Weg zum Zentrum. Noch nicht einmal die Morgendämmerung war angebrochen. Schlange hob einen Arm und tätschelte Winds Nacken.
    »Jetzt ist es nicht mehr weit«, bemerkte sie.
    »Was?« Auch Melissa fuhr hoch. »Wo...?«
    »Es ist alles in Ordnung«, sagte Schlange. »Wir können bald rasten.«
    »Oh.« Melissa blickte umher und blinzelte. »Ich hatte vergessen, wo ich bin.«
    Sie erreichten die Blütenbäume, die um die Oase einen Schutzgürtel bildeten. Schlanges Laterne beleuchtete Blätter, die vom Sand, den der Wind dahinfegte, bereits zerfleddert und zerfranst waren. Schlange sah keine Zelte, hörte keine Geräusche von Menschen oder Tieren. Mittlerweile hatten sich alle Karawanen in die Sicherheit der Berge zurückgezogen.
    »Was ist das für ein Licht?«
    »Keine Ahnung«, sagte Schlange.
    Sie schaute Melissa an, weil ihre Stimme fremd geklungen hatte; ein Zipfel ihres Kopftuchs, um ihr Gesicht geschlungen, hatte sie gedämpft. Als sich kein Mensch blicken ließ, streifte sie den Zipfel achtlos beiseite, als sei sie sich gar nicht dessen bewußt, daß sie sich versteckt hatte. Schlange, über den sonderbaren Lichtschein beunruhigt, lenkte Wind seitwärts.
    »Schau nur«, sagte Melissa.
    Winds Körper verdunkelte den Laternenschein in einer Richtung, und dort sahen sie gegen die Dunkelheit einen Streifen von Helligkeit sich abzeichnen. Sobald sie sich näherten, erkannte Schlange, daß es sich um einen abgestorbenen Blütenbaum handelte, der dicht genug am Wasser stand, um zu faulen statt auszutrocknen. Leuchtzellen hatten den zierlichen Baumstamm heimgesucht und verwandelten ihn langsam in ein helles Leuchtzeichen. Schlange seufzte aus Erleichterung verstohlen auf.
    Sie ritten weiter und umrundeten den stillen, schwarzen Teich, bis sie an eine Stelle gelangten, wo die Bäume so dicht standen, daß sie ihnen einen gewissen Schutz gewährten. Kaum hatte Schlange Wind zum Stehen gebracht, da sprang Melissa auf den Boden und begann Eichhörnchen den Sattel abzunehmen.
    Schlange stieg langsamer ab, denn trotz des beständigen Wüstenklimas hatte sich ihr Knie während des Ritts wieder versteift. Melissa rieb Eichhörnchen mit einer Handvoll Blätter ab und redete mit kaum vernehmlicher Stimme zu ihm. Bald darauf hatten alle, Menschen und Tiere, es sich bequem gemacht, um den Tag verstreichen zu lassen.
    Schlange trottete barfuß zum Wasser, reckte sich und gähnte. Sie hatte den ganzen Tag hindurch gut geschlafen, und nun wollte sie eine Runde schwimmen, ehe sie wieder aufbrachen. Noch war es zu früh, um sich aus dem Schutz des dichten Hains zu begeben. In der Hoffnung, noch ein paar reife Früchte in den Zweigen zu entdecken, spähte sie nach oben und umher, aber die Wüstenbewohner hatten alles gründlich abgeerntet. Erst vor ein paar Tagen hatte sie auf der anderen Seite der Berge in den Oasen das Laub weich und saftig gesehen; hier war es bereits tot und vertrocknet. Es knisterte, wenn sie es streifte. Das brüchige Blattwerk zerbröckelte in ihrer Hand.
    Sie blieb stehen, wo das Ufer begann. Der schwarze Uferstreifen war nur einige Meter breit, ein Halbkreis aus Sand rings um eine winzige Lagune, deren Wasserfläche das überhängende Geflecht des Astwerks widerspiegelte. Melissa kniete halbnackt am Wasser, darüber hinausgebeugt; sie starrte stumm hinein. Die Striemen der Schläge, die Ras ihr zugefügt hatte, waren verblaßt, und ihr Rücken war vom Feuer unversehrt geblieben. Ihre Haut war heller, als Schlange aufgrund der Sonnenbräune ihres Gesichts und der Hände

Weitere Kostenlose Bücher