Traumzeit
eine Aufgabe vor der Heimfahrt: Sie mußten Philip McNeal finden!
»Sieh nur!« rief Lisa, und ihre Stimme verschmolz mit den vielen tausend anderen Stimmen, deren Echo unter der Kuppel des Rundbaus widerhallte. Sie nahm ihren Bruder bei der Hand und zog ihn zu einem großen Stand.
Die Westbrooks versammelten sich vor einem faszinierenden Tableau. Es wurde mit den stolzen Worten angekündigt: ›Die Melbourne
Times
zeigt: Melbourne im Laufe der Zeiten.‹ Man hatte vier lebensgroße Schaubilder zusammengestellt, die beinahe die ganze Länge der Halle einnahmen. Die Zuschauer gingen an einer Samtkordel entlang und konnten so in aller Ruhe die historischen Abschnitte in der Entwicklung Melbournes bestaunen: ›Wäldliche Einsamkeit, 1800 ‹ – man sah beinahe nackte Ureinwohner, die Bumerangs warfen und sich die Körper bemalten; ›Ein schlichtes Dorf, 1830 ‹ – ein paar Weiße lebten in primitiven Hütten; ›Die kleine Stadt, 1845 ‹ – man hatte einen Gemischtwarenladen aufgebaut und davor ein lebendes Pferd angebunden; und schließlich: ›Eine Stadt im Umbruch, 1870 ‹ – auf einer großen Leinwand sah man die Anfänge der Stadtsilhouette und davor die Masten und Schiffe im geschäftigen Hafen.
In einer kleinen Broschüre stand, daß diese ›teure Darstellung‹ von Frank Downs, dem Verleger der Melbourne
Times,
erdacht und gestaltet worden sei. Nicht erwähnt wurde jedoch, daß die Idee in Wirklichkeit von der unbekannten Malerin Ivy Dearborn stammte.
Die Westbrooks tranken nach der Besichtigung Limonade und aßen Sahnewaffeln. Danach liefen sie durch die Halle für Medizin. Dort erfuhren die Kinder zu ihrer großen Verwunderung, daß es gewerbsmäßig erzeugte Heilmittel gab, mit denen man offenbar jede Krankheit auf der Welt heilen konnte. Man sah Ärzte, die ihre Hände mit Dentinseife wuschen, Kinder lagen in Krankenhausbetten und aßen munter Dr. Graham’s Crackers. Bruchbänder wurden vorgeführt, und Verkäufer standen auf Podesten und priesen über die Köpfe der Menge hinweg lautstark die indianische Wunderkur der Kickapoos an oder Dr. Foote’s Krebskur. Ein Amerikaner namens Kellogg hatte ein neues Frühstück aus Getreideflocken erfunden, und es ›garantiert eine Verringerung des Sexualtriebs‹. Bücher mit so erstaunlichen Titeln wie ›Die türkische Liebeskunst‹ und ›Die Bedeutung von Träumen‹ wurden zum Verkauf angeboten. An die Erwachsenen verteilte man Proben von ›Gono, Männerfreund‹ für die Männer, und die Frauen erhielten kleine Tuben von ›Dr. Cooper’s Haarnährcreme‹. Für Kinder gab es bunte Karten, auf denen man für ›Mrs. Winslow’s Kinderberuhigungsmittel‹ und ›Dr. Smiley’s Rosa Pillen für Bleichsüchtige‹ warb.
Französische Ärzte hielten Vorträge über die neue ›Bazillentheorie‹, mit der ihr Kollege Louis Pasteur vor kurzem großes Aufsehen erregt hatte. Joanna hörte aufmerksam den Erklärungen über Bakterien und Bazillen, Mikroben und Zellen zu, und wie man entdeckt hatte, daß sie für das Entstehen von Krankheiten verantwortlich waren. Als Beispiel führte man den Typhusbazillus an, den man auf großen Schautafeln zeigte, und Joanna mußte an David Ramsey denken, der sein Leben für die Medizin geopfert hatte. Er war zu früh gestorben. Andere Männer hatten seine Ideen in die Tat umgesetzt, und sie waren jetzt berühmt.
Als sie die ›Halle der Medizin‹ verließen und wieder zur ›Halle für Kunst und Architektur‹ gingen, kamen sie an einem kleinen Stand vorbei. Auf einer Tafel stand: ›Eine idyllische Szene, um das Auge zu erfreuen und die Nerven zu beruhigen.‹ Die Kolonie Westaustralien hatte diesen Beitrag geliefert. Es war ein künstlicher Teich mit Gräsern und Büschen, in dem schwarze Schwäne schwammen. Joanna und Sarah und auch die Kinder bestaunten die anmutigen Vögel, denn sie hatten noch nie schwarze Schwäne gesehen.
Die nächste Halle enthielt eine Reihe kleiner Stände, die im Grunde nur aus Tischen und Stühlen bestanden, die durch Seile getrennt waren. Transparente wiesen auf Vereine und Gesellschaften hin, die hier vertreten waren, zum Beispiel die Abstinenz-Liga der Frauen und das Sankt-Joseph-Irrenhaus. Joanna fiel die Britisch-Indische Missionsgesellschaft besonders auf. Sie befand sich zwischen der Waisenhilfe, der Joanna manchmal Geld spendete, und der Heilsarmee, von der sie noch nie etwas gehört hatte. Vor einer Tafel mit der Aufschrift: ›Hungerhilfe für Indien‹ blieb sie
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