Traumzeit
eine Flamme brannte. Sie verbreitete ein helles, leuchtend weißes Licht und verbrauchte weder Öl noch Petroleum, sondern wurde von einem elektrischen Generator mit ›Strom‹ versorgt.
Joanna und Sarah hatten Mühe, die Kinder nicht aus den Augen zu verlieren. Adam lief aufgeregt und ausgelassen mit seiner Schwester von Stand zu Stand. Die beiden jubelten und lachten und deuteten mit den Fingern auf die erstaunlichen Erfindungen. An einem Stand führte man das ›Telefon‹ vor, und daneben zeigte ein Amerikaner etwas wirklich Wunderbares. Er nannte es ›Grammofon‹. Er forderte einen Herrn aus der Zuschauermenge auf, in einen Kasten zu sprechen, während er eine Kurbel drehte, und kurz darauf hörte man tatsächlich die Stimme des Mannes!
Es gab auch komische Dinge, zum Beispiel einen ›fleißigen‹ Schaukelstuhl. Eine Frau saß darin und strickte, während sie durch das Schaukeln irgendwie ein Butterfaß antrieb. Ein Wecker weckte den Schläfer mit einem Guß kaltem Wasser, und danach hob sich das Fußende des Bettes. Eine Maschine mit Rädern, einem Sitz und einem rauchenden Motor fuhr unter lautem Geknatter mit einem Mann im Kreis herum. Das Gefährt sah aus wie ein Zug ohne Schienen. Der Fahrer behauptete, es sei das Transportmittel der Zukunft.
Aber es wurden auch furchteinflößende Dinge gezeigt. Adam bestaunte lange das Skelett eines Dinosauriers in der französischen Ausstellungshalle. Dort zeigte man auch einen Vorfahren der Menschen. Man hatte die Überreste in Frankreich gefunden, an einem Ort, der Cro-Magnon hieß. Darunter stand: ›Vermutlich 35 000 Jahre alt.‹
Sie gingen durch einen großen Torbogen, und Joanna sah ihr Spiegelbild in einem hohen, goldgerahmten Spiegel. Meine Familie, dachte sie stolz. Adam trug seine erste lange Hose und hatte die braunen Haare ordentlich gekämmt. Lisa hatte ein tailliertes Kleidchen mit einer großen Schleife auf dem Rücken an. Ihre Locken fielen bis auf die Schultern. Die dunkelhäutige Sarah wirkte so damenhaft gelassen und schön, daß die Männer ständig den Kopf nach ihr drehten. Sie trug ein langes Kleid mit schmaler Taille und Tournüre, und ihr Hut mit den Federn neigte sich auf den rotbraunen hochgesteckten Locken keck in die Stirn. Auch Joanna war mit ihren achtundzwanzig Jahren noch schlank. Der Saum ihres blauen Samtkleids glitt über den glänzenden Marmorboden. Wenn doch nur Hugh hier sein könnte, dachte sie, dann wäre das Bild vollkommen …
Der letzte Tag kam allzu schnell. Morgen würden sie wieder in den westlichen Distrikt zurückkehren. Joanna freute sich auf Merinda. Der Besuch in der Stadt war aufregend gewesen, aber sie sehnte sich nach Hugh und der Farm.
Der Alptraum mit der Regenbogenschlange und den wilden Hunden hatte sie bis nach Melbourne verfolgt. Joanna war mehrmals mit klopfendem Herzen mitten in der Nacht aufgewacht und hatte sich verwirrt in dem Hotelzimmer umgesehen. Sie wußte nicht mehr, wo sie sich befand. Sie hörte draußen die fremden Geräusche auf der Straße und fühlte sich abgeschnitten von Hugh, Merinda und den Dingen, die in ihr Leben gehörten. Der Traum änderte sich jedesmal, aber immer tauchten die wesentlichen Elemente auf – die Hunde, die Schlange, der Feueropal. Dann überkam sie der unsagbare Schrecken, der auch nach dem Erwachen nicht sofort wieder wich. Joanna lag im Bett, und ihr Herz schlug heftig. Sie hatte das Gefühl, die Regenbogenschlange richte in der Dunkelheit das eine funkelnde Auge drohend auf sie.
Es kann nicht sein, redete Joanna sich vernünftig zu. Es war alles Einbildung, eine Wahnvorstellung. Die Ursache dafür lag im Tagebuch ihrer Mutter. Aber Joanna wußte, darauf kam es nicht an – auch Sarah hatte das gesagt –, denn das Ergebnis war dasselbe: eine wachsende, tödliche Angst. Sie fürchtete um ihre Sicherheit und um die Sicherheit ihrer Tochter. Joanna wußte, sie mußte entweder den Grund für den Gift-Gesang finden und die Sache zu einem Ende bringen oder ihr Inneres davon überzeugen, daß der Gift-Gesang keine Macht mehr über sie besaß.
Da der Feueropal in den Träumen eine Rolle spielte, überlegte sie, ob der Stein sie vielleicht zur Ursache ihrer Ängste führen könnte. Stammte er aus Australien oder hatten ihre Eltern ihn in Indien erworben? Leider hatten ihre Fragen an Geologen, an Edelsteinexperten und an die Vertreter verschiedener Länder auf der Ausstellung keine Klarheit über die Herkunft des Opals gebracht.
Jetzt hatte sie nur noch
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