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Traumzeit

Traumzeit

Titel: Traumzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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ihr wandte. Sie drehte sich auf dem Absatz um und fuhr davon.
    Auf Kilmarnock ging sie in Christinas Schlafzimmer und sagte zu Colin: »Miss Drury wird etwas später kommen.«
    »Warum kann sie nicht jetzt kommen?«
    Pauline zögerte. Sie konnte nicht vergessen, wie Hugh an Joannas Bett gesessen hatte und sanft ihr Gesicht berührte. Deshalb erwiderte sie: »Sie muß sich um die kranken Farmarbeiter kümmern.« Sie staunte, wie mühelos die Lüge über ihre Lippen gekommen war.
    Christina starb drei Stunden später und nahm das ungeborene Kind mit sich. Colin preßte schluchzend seine tote Frau an sich. Dem sechsjährigen Judd, der in der Ecke stand, wurde es klar: jetzt war das geschehen, was er schon immer befürchtet hatte – seine Mutter gehörte zu den Gespenstern im Arbeitszimmer seines Vaters.
    6
    Es klopfte an die Tür. Joanna erwachte. Es dauerte eine Weile, bis sie sich aus dem tiefen Schlaf gekämpft hatte. Als sie versuchte, sich aufzusetzen, stellte sie fest, wie schwach sie war. Benommen blickte sie sich um und stellte fest, daß es bereits spät am Nachmittag war. Sie versuchte, sich daran zu erinnern, wie sie ins Rindenhaus gekommen war. Dann fiel es ihr wieder ein: Sie war im Krankenzimmer ohnmächtig geworden.
    Es klopfte erneut. Sie rief: »Wer ist da?«
    »Eine Nachricht von Dr. Ramsey für Sie, Miss Drury«, hörte sie von draußen eine Stimme – es war einer der Farmarbeiter.
    »Einen Moment bitte«, sagte sie. So schwach hatte sich sich noch nie in ihrem Leben gefühlt.
    Als Joanna die Tür öffnete, gab ihr der Mann einen Brief. Ein Bote von Cameron Town habe ihn gerade gebracht, erklärte der Mann.
    Die Nachricht kam von David Ramseys Vermieterin. Sie schrieb, der Arzt sei krank geworden und bitte sie zu kommen.
    »Tom«, sagt Joanna zu dem Mann, »können Sie bitte den Wagen für mich anspannen? Ich muß sofort in die Stadt.«
    »Mr. Westbrook ist mit dem Wagen unterwegs, Miss.«
    »Dann soll mir jemand ein Pferd satteln. Wissen Sie, wo Sarah und Adam sind?«
    »Der kleine Junge ist im Kochhaus und hilft Ping-Li. Das Mädchen hat gesagt, sie hat etwas zu erledigen.«
    Joanna wusch sich schnell Hände und Gesicht und kämmte sich die Haare. Danach fühlte sie sich etwas besser, wenn auch noch immer sehr matt. Was Sarah wohl ›erledigen‹ will? dachte sie und schrieb ein paar Zeilen, damit Sarah wußte, daß sie Ramsey besuchte. Sie ließ das Blatt auf dem Tisch liegen.
    Dann machte sie sich auf den Weg. Als Joanna die Pension erreichte, in der Ramsey wohnte, fand sie ihn im Bett. Im Zimmer roch es nach Krankheit und Tod. Joanna warf einen Blick auf Ramseys Gesicht. Seine bläulichen Lippen und die seltsame Blässe verrieten ihr, daß er nicht an Typhus litt. Der Arzt hatte Gift genommen. Er erprobte die neue ›Therapie‹ an sich selbst. Auf dem Nachttisch standen Flaschen mit Jod und Karbolsäure.
    Sie setzte sich auf den Bettrand und legte ihm ein feuchtes Tuch auf die Stirn.
    Die Vermieterin stand händeringend in der Tür. »Ich wußte nicht, was ich tun sollte«, jammerte sie. »Er ist doch schließlich ein Arzt …«
    Ramsey schlug die Augen auf. Er sah Joanna an und lächelte schwach. »Ich hatte die Symptome … an dem Tag, als ich Sie zum letzten Mal gesehen habe, Joanna«, sagte er langsam und unter großer Mühe. »Als … ich Bill Lovells Perionitis diagnostizierte. Ich wußte, ich hatte Typhus.«
    »Psst«, sagte sie, »sprechen Sie nicht. Ich werde Sie pflegen.«
    Sein Kopf fiel zur Seite. »Nein, Joanna«, flüsterte er, »ich weiß, was ich getan habe. Ich wußte … ich durfte nicht an anderen experimentieren. Ich mußte die Therapie zuerst an mir selbst ausprobieren.« Er deutete auf die Giftflaschen. »Ich … wollte meinen Beitrag zur Medizin leisten. Ich wollte wie Jenner und Virchow sein. Aber … das da geht nicht, Joanna. Ich habe mich damit selbst umgebracht. Es tut mir leid, daß ich … versagt habe …«
    Er starb mit offenen Augen. Joanna schloß sie ihm sanft.
    Sie ritt langsam auf der Landstraße nach Merinda zurück. Davids Gesicht stand ihr vor Augen. Sie fühlte sich in ihrem Innern wie abgestorben. So tot wie die Männer, die der Typhus vor ihrem Augen dahingerafft hatte. Die Dämmerung brach herein. Es würde bald dunkel sein. Aber Joanna bemerkte es nicht. Sie fühlte die Last all der Toten auf ihren Schultern. Was hatte sie mit dem zu tun, das hier geschah? Hatte der alte Ezekial doch recht? Wäre das Unheil nie über diese Gegend

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