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Traveblut

Traveblut

Titel: Traveblut
Autoren: Jobst Schlennstedt
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die Frau. »Es war ein blaues Herrenfahrrad älteren Jahrgangs. An dem Anhänger ist mir nichts Besonderes aufgefallen.«
    »In Ordnung«, sagte Andresen. »Vielen Dank für Ihren Anruf. Sie müssen wahrscheinlich noch einmal aufs Präsidium kommen, damit wir Ihre Aussage zu Protokoll nehmen.« Er verabschiedete sich und legte auf.
    Nachdenklich schüttelte er den Kopf. Sie hatten tatsächlich eine Zeugin gefunden, die wichtige Beobachtungen gemacht hatte. Er würde mit Sibius darüber sprechen, das Ufer an der Kanaltrave in den nächsten Tagen beobachten zu lassen.
    Sein Magen knurrte. Er blickte auf seine Uhr. Kurz nach eins. Er entschied, in der Kantine schnell etwas zu essen, schnappte sich sein Portemonnaie und verließ das Büro. Auf dem Gang traf er Julia, die ihm einen Zettel in die Hand drückte.
    »Das hier ist eine Liste der Personen, die damals an der Blücher-Schule unterrichtet haben. Ich habe diejenigen, die heute nicht mehr dort tätig sind, rot gekennzeichnet. Insgesamt bin ich auf neunzehn Lehrerinnen und Lehrer gekommen, wobei der überwiegende Anteil weiblich ist.«
    »Danke«, sagte Andresen und warf einen flüchtigen Blick auf die Liste. Julia hatte die Namen von Brigitte Jochimsen, Katharina Kock und Hanka Weichert ebenfalls rot markiert, nachträglich jedoch mit einem Kugelschreiber durchgestrichen. Es blieben also nur noch sechzehn Personen übrig, mit denen sie sprechen mussten.
    »Zwei weitere Frauen sind bereits verstorben, eine wohnt in Ratzeburg, eine ist derzeit im Schwangerschaftsurlaub, und einer der Lehrer lebt in Hamburg«, erklärte sie weiter.
    Andresen nickte. »Wir hatten zwar vereinbart, dass du die Stellung im Präsidium hältst. Es wäre aber gut, wenn du nachher zusammen mit mir die restlichen Gespräche an der Schule führst. Bist du dabei?«
    »Klar«, antwortete Julia. »Wir sind doch ein Team.«

21

    Sie hatte die Panik sofort gespürt. Rasend schnell hatte sie sich durch ihren Körper gefressen wie ein heimtückischer Virus. Aber schon Sekunden später war sie gewichen, und sie hatte sich wieder beruhigen können. Das war ihre größte Stärke. Ruhe bewahren, sich nichts anmerken lassen. Einfach so tun, als ob alles in Ordnung wäre. Gelegentlich Betroffenheit zeigen, manchmal auch Entrüstung. All die Jahre hatte das funktioniert. So auch diesmal.
    Sie hatte damit gerechnet, dass man irgendwann auch sie befragen würde. Das hieß noch gar nichts, das Gespräch war reine Routine gewesen. Außerdem war sie nicht die Einzige gewesen. Sie hatten mit etlichen Kollegen gesprochen.
    Dass die Polizei jedenfalls keinen blassen Schimmer hatte, das war ihr schnell klar geworden. Die Fragen hatten nur am Rande des Ganzen gekratzt. Ob ihr damals irgendetwas aufgefallen sei? Wie gut sie Brigitte, Hanka und Katharina Kock gekannt hatte?
    Gestern erst hatte sie das mit Hanka Weichert erfahren. Im Grunde genommen war diese Nachricht bereits der Auslöser für die Panikattacke gewesen. Auch sie war ihm jetzt also zum Opfer gefallen. Allerdings hatte sie entkommen können. Um Haaresbreite, wie die Polizistin berichtet hatte. Er spielte sein Spiel offenbar immer weiter, und niemand konnte ihn aufhalten. Niemand außer ihr selbst. Sie war die Einzige, die in der Lage war, es mit ihm aufzunehmen. Weil sie die Einzige war, die wusste, was ihn antrieb. Und weil sie wusste, dass sie die Nächste sein würde, auf die er es abgesehen hatte. Sie musste es also tun. Ihm zuvorkommen, seinem jämmerlichen Leben ein Ende setzen.
    Ihr Plan stand fest. Morgen würde sie in aller Frühe aufbrechen. Sie wusste mittlerweile, wo er wohnte und wann er sie beobachtete. Sie war bestens vorbereitet. Nichts konnte mehr schiefgehen.
    Sie nahm sein Foto und drückte es fest an ihre Brust. Damals hatte sie liebevolle Gefühle für ihn gehabt, heute waren es nur noch Abscheu und Verachtung. Sie spürte, dass die Zeit gekommen war, dem Ganzen endlich ein Ende zu bereiten.

22

    Die Erinnerungen an seine eigene Schulzeit stiegen sofort wieder in Andresen hoch, als er gemeinsam mit Julia das Lehrerzimmer betrat.
    »Willkommen zurück«, sagte Gisela Sachs scharf. »Wie Sie sehen, haben wir Sie erwartet. Die Kollegin Frau Busch ist leider krank. Sie können es notfalls bei ihr zu Hause versuchen.«
    »Danke«, antwortete Andresen. »Können wir uns vorab noch einmal kurz unter vier Augen unterhalten?«
    Sie nickte und wandte sich in Richtung ihres Büros.
    »Du kannst ja schon mal anfangen«, sagte Andresen zu Julia.
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