Treffpunkt Irgendwo
so stolzen, selbstgefälligen Kerl war zu meiner Überraschung nichts mehr übrig. Vor mir stand ein Typ mit Iro, der auf einmal traurig und verloren aussah.
»Es tut mir leid. Aber ich wusste nicht, dass ich dich treffen würde. Und hey, wirklich, ich bin kein Junkie. Aber manchmal, da will ich mich auch mal gut fühlen. Um nicht auszurasten in meiner beschissenen Welt. Echt, Jana, ich, es geht mir momentan nicht gut.«
Seine Stimme war weinerlich, und das machte mich noch wütender. Denn auch das kannte ich von Leuten, die was eingeworfen hatten. Erst auf Wolke sieben und dann voll das heulende Elend. Und eins war so Fake wie das andere.
»Lass mich in Ruhe«, giftete ich ihn an. »Geh nach Hause!«
»Mein Zuhause ist geräumt!«
»Dein Problem«, gab ich hart zurück.
»Stimmt.«
Und ganz unerwartet drehte er sich um und verschwand wieder in dem kleinen indischen Imbiss.
Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich stand noch ein paar Sekunden vor dem Eingang und wartete, aber nichts geschah. Len kam nicht erneut heraus. Das machte mich noch wütender, als ich ohnehin schon war. Denn ich hatte ihm noch längst nicht alles gesagt, was ich ihm an den Kopf schmeißen wollte. Doch zu ihm reingehen, ging auch nicht. Innerlich bebend wartete ich noch etwas, versuchte, durch die beschlagene Scheibe einen Blick ins Lokal zu werfen, aber näher rangehen wollte ich auch nicht. Dann hätte er mich womöglich gesehen.
»Arschloch-Arschloch-Arschloch«, zischte ich irgendwann, zog meine blaue wattierte Winterjacke enger um mich und eilte zur nächsten U-Bahn-Station.
Während der Heimfahrt hatte ich ausgiebig Zeit, über die neuerliche Begegnung mit Len nachzudenken. Ich fragte mich, warum er eigentlich mir gegenüber so aufschneiden wollte. Warum war er so bestrebt gewesen, mir zu zeigen, wie super es ihm augenblicklich ging. Lag das nur daran, dass er auf Kokain war. Nein, entschied ich nach einigem Überlegen. Das hatte vermutlich einen anderen Grund. Ich vermutete, er schämte sich mir gegenüber. Bei unserem letzten Treffen war er echt ganz tief unten gewesen. Dreckig, stinkend, versifft und so besoffen, dass er nicht einmal allein aufstehen konnte. Sein ganzes Gehabe gerade war offenbar der Versuch gewesen, sich mir in einem anderen Licht zu präsentieren, einen besseren Eindruck zu hinterlassen.
Aber wenn dem so war, dann war doch die logische Frage im Anschluss, warum war ihm das wichtig, dass ich einen guten Eindruck von ihm hatte. Eigentlich könnte ihm doch egal sein, was ich von ihm hielt.
Als ich die Antwort auf diese Frage gefunden hatte, da musste ich plötzlich lachen, denn so offensichtlich war das auf einmal.
»Entschuldigen Sie!«, sagte ich laut, da die beiden Frauen mir gegenüber in der S-Bahn mich irritiert ansahen.
Len hatte sich in mich verliebt.
Einen anderen Grund konnte es nicht geben.
Jede andere Erklärung ergab keinen Sinn.
Kaum war mir das bewusst geworden, kam dann die zweite Erkenntnis, doch die ließ mich nicht laut auflachen. Eher schnürte sie mir den Brustkorb zusammen, machte mir Angst, lähmte mich und veränderte mit einem Schlag mein ganzes Leben.
Auch ich war verliebt.
Kapitel 5
K lar, ich hatte mich schon oft verliebt. Aber ich gehörte nicht zu den Frauen, die ständig verliebt waren. Mia war so eine, aber nicht ich. Mia war fast jede Woche in irgendeinen anderen verknallt, das nahm sie vermutlich selbst nicht mehr richtig ernst. Ebensowenig, wie sie die Beziehungen zu den Jungen selbst ernst nahm. Aber so wie sie war ich nicht. Egal in wen ich mich bislang verliebt hatte, das war immer ernst gewesen und nicht nur mal eben so aus einer Laune heraus. Das mit Ole war sogar richtig ernst gewesen. Ihm auch, wenn da nicht die dumme Schnalle aus dem Tennisverein gewesen wäre, dann hätte das durchaus auch noch länger gehen können.
Daher war es nicht die Erkenntnis, dass ich verliebt war, die mich so umhaute. Was mir so die Luft nahm, war die Tatsache, dass es sich diesmal so komplett anders anfühlte. Diese Art von Verliebtsein kannte ich nicht. Das tat weh, war nicht schön, keine Schmetterlinge im Bauch oder so Blödsinn. Nein, das kam tief aus dem Herzen, zog den Hals hinauf, schnürte mir die Kehle zu. Denn: Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein.
Nicht Len.
Nicht einen versoffenen, koksenden Punk.
In meinem Leben war kein Platz für einen Hausbesetzer, jemanden, der auf der Straße lebte und sich sein Geld mit Autoscheibenputzen verdiente.
So jemanden hatte
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