Treffpunkt Irgendwo
würde gut werden. Ich kannte mich inzwischen in der Straßenkinderszene echt gut aus, da gab es massenhaft Hilfsorganisationen, Adressen, wo Leute einem wieder zu Wohnung, Schule und Arbeit verhalfen. Womöglich eine WG mit betreutem Wohnen, raus aus der Hausbesetzerszene, wir würden das schaffen.
Die Woche zog sich, die Tage schienen nicht enden zu wollen. Da mich weder Schule noch Eltern ablenkten, verstrichen die Ostertage quälend langsam. Ich versuchte, mich mit Lesen über die Zeit zu retten. Meine Mutter hatte neben ihrem Bett stapelweise diese belanglosen, leicht geschriebenen Liebesromane stehen. Die Handlungen waren immer irgendwie gleich. Junge, moderne, total selbstständige Frau in Krise lernt Mann fürs Leben kennen und nach Wirrungen und unendlichen Schwierigkeiten bekommen sie einander zum Schluss. Mal mit, mal ohne Kinder. Eigentlich hasste ich diese Bücher, so wie ich auch diese Art Filme verabscheute, doch nun, in meiner augenblicklichen Situation waren sie goldrichtig. Ich verzog mich mit einem Stapel dieser Bücher in mein Bett und las und las. Es war mir egal, dass ich damit deutlich unter mein Niveau ging. Hauptsache nicht nachdenken, einfach nur die Zeit überbrücken und ein bisschen von der Liebe träumen. Unvorbereitet war ich zu Warteschleifen gezwungen. Anders als die Tage zuvor, konnte ich nun nichts mehr tun. Die Suche war vorbei, ich hatte ihn gefunden und ich fiel beinahe in ein Loch. Jetzt merkte ich auch, wie viel Zeit ich damit verbracht hatte, und diese Leere konnte ich nicht mal damit ausfüllen, Mia anzurufen. Und ihm dennoch irgendwie auf die Pelle zu rücken, wäre idiotisch gewesen. Er hatte diesen Ausschlag. Ich konnte mir vorstellen, dass er sich mir gegenüber deswegen schämte. Impetigo contagiosa war zudem wirklich hochinfektiös, wie ich bei Wikipedia nachgelesen hatte. Alles, was ich tun konnte, war abwarten.
Doch genau da lag das Problem. Ich war niemand, der sich irgendwie gedulden kann. Dafür fehlte mir das entsprechende Gen. Bei mir musste alles schnell gehen. Und verdammt, so war doch auch die Zeit, in der wir lebten. In einer Woche konnte so irrsinnig viel passieren. Da starben Menschen, wurden Regierungen gestürzt, die komplette Weltordnung konnte sich innerhalb weniger Tage komplett verändern. Wie konnte da jemand von mir erwarten, dass ich dasitzen und Däumchen drehen würde.
Und doch hatte ich keine Wahl. Also las ich, und wenn ich nicht las, dann saß ich da und grübelte. Ostermontag klingelte es am Nachmittag an der Tür.
Erschrocken sah ich mich in meinem Zimmer um. Der Schreibtisch vermüllt, ich im Bett in Joggingklamotten, ein Stapel Liebesromane neben dem Bett und im Papierkorb Berge von Schokoladenverpackungen. Ich entschied, nicht aufzumachen. Ich war krank, nicht zu sprechen, einfach nicht da.
Sekunden später klingelte das Handy. Es war Mia und die Nachricht, die sie auf meiner Mailbox hinterließ, war eindeutig. »Jana, ich weiß, du bist da, du hast Licht angelassen. Und wenn du mir nicht aufmachst, dann rufe ich die Polizei und lasse die Tür gewaltsam öffnen. Ich mache mir Sorgen um dich.«
Also ging ich hinunter, um ihr zu öffnen.
»Hui! Dich hat es aber echt hart erwischt.« Kaum hatte sie mein Zimmer betreten, hatte sie mit einem Blick die Situation erfasst: »Clark ist weg?«
Ich nickte automatisch, ach ja, diese Clark-Geschichte.
»Und nun hängst du durch?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht, irgendwie geht es mir ganz gut.« Ich überlegte, was ich sagen sollte. »Es geht mir überraschenderweise wirklich gut. Ich, ich bin auf eine ganz eigene Art glücklich.«
»Meinst du?« Mia sah mich abschätzend an. »Einen richtig glücklichen Eindruck machst du aber nicht.«
»Das täuscht, weil, weil ich noch nicht so richtig weiß, ob ich mich nun freuen soll.«
»Wieso solltest du dich freuen.« Sie setzte sich auf mein Bett.
»Ja, weil Clark weg ist. Ich meine, das hätte nichts werden können, daher ist es viel leichter ohne ihn. Ich bin echt glücklich. Wenn ich Liebeskummer hätte, glaubst du, ich würde so was lesen?« Ich zeigte auf das Buch, das aufgeschlagen auf meinem Bett lag. Es hieß: Suche impotenten Mann fürs Leben!
»Du bist wirklich sehr, sehr eigenartig«, murmelte Mia.
»Doch, echt jetzt, Mia, glaub mir, ich bin glücklich. Ich bin endlich wieder glücklich. So glücklich wie noch nie.«
»Komm, zieh dich an, wir gehen was trinken.«
»Ich weiß nicht.«
»Aber ich. Los! Ich habe eine
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