Treffpunkt Irgendwo
an, musste aber inzwischen selbst schon lachen. Er umarmte mich, zog mich in Richtung Flur. »Sekunde«, prustete ich, griff noch schnell die Schachtel mit den Präservativen, dann ließ ich mich von ihm ins Wohnzimmer ziehen.
Eine halbe Stunde später kamen wir zurück in die Küche.
»Danach habe ich immer Hunger«, seufzte Len zufrieden, während er Wasser in den Topf laufen ließ.
»Geht mir auch so«, pflichtete ich ihm bei und öffnete die eingeschweißte Packung Hackfleisch. »Eigentlich sollte man vorkochen, dann Sex, damit man anschließend gleich essen kann.«
Wenig später saßen wir an dem kleinen Küchentisch und aßen Spaghetti mit Hackfleisch-Mirácoli-Sauce. Dazu zwei Bier.
»Pah, das ist so lecker, echt wie in der Werbung«, nuschelte Len mit vollem Mund. »Nur Mirácoli schmeckt wie Mirácoli.«
»Klar«, antwortete ich ihm. »Gab es früher auch immer bei uns. Bis meine Mutter einen Artikel gelesen hat, dass da total viele Geschmacksverstärker drin sind. Die docken an den Rezeptoren im Hirn an und deshalb schmeckt das so. Seitdem steht Mirácoli bei uns auf der schwarzen Liste. Ebenso wie Cola, Nutella, Fruchtzwerge und so weiter.«
»Egal, ich finde das schmeckt einfach nur geil. Besser als beim Italiener.« Len schob einen gehäuften Löffel in seinen Mund. Ich war etwas verwundert darüber, wie er Spaghetti aß, das kannte ich so nur aus dem Kindergarten. Er hatte sich den Teller vollgeschaufelt, Sauce darüber und dann alles klein geschnitten, während ich ohne Löffel aß und meine Nudeln einfach um die Gabel wickelte.
»Das hat meine große Schwester oft gekocht, als ich noch klein war«, schmatzte Len. »Mein erstes Mirácoli werde ich nie vergessen, da war ich fünf oder so. In dem Hort, da war noch so eine Köchin aus der Steinzeit. Die hat echt noch so gekocht wie früher in der DDR. Irgendwie Ketchup mit was drin, echt grausam. Und dann plötzlich das hier, Geschmack, richtiger Tomatengeschmack, von mir aus auch voller Chemie, ich finde es einfach geil, echt der Hammer. Allein deshalb hat sich die Wiedervereinigung gelohnt.«
»Aber die DDR hast du doch gar nicht mehr mitbekommen«, warf ich ein.
»Ne, aber so den Nachgeschmack.« Len trank einen Schluck Bier. »Ist doch so, Ostberlin ist auch heute noch anders als Westberlin. Und Berlin-Köpenick ist was anderes als Berlin-Spandau. Bei mir in der Kita, in der Schule, Hort, das war schon noch irgendwie die DDR.«
»Stimmt, anders ist das schon. Aber zählt auch irgendwie nicht mehr, oder?«, überlegte ich. »Bei mir in der Schule, die liegt ja direkt an der Grenze zu Brandenburg, sind einige aus dem Osten. Oder wohnen in Brandenburg, in einer dieser neuen Siedlungen und sind aus dem Westen. So genau kann man das ja bei manchen auch nicht sagen. Die sind erst hinübergezogen, dann wieder zurück. Ich kann nicht mehr gleich sagen, woher jemand kommt. Bei manchen ganz leicht, klar, aber wenn du mir gesagt hättest, du stammst aus Spandau, dann hätte ich das auch geglaubt.«
»Stört es dich, wenn ich schon rauche?«, fragte Len.
»Solange du nicht auf meinen Teller aschst.«
»Geiler Spruch.«
»Den wollte ich schon lange mal anbringen, nur hat sich nie die Gelegenheit ergeben. Ich kenne kaum Raucher.«
»Stört es dich denn, wenn ich hier in der Wohnung?«
»Wenn es für Herrn Schultze okay ist.«
»Er hat sich noch nicht beschwert.«
Wir saßen über eine Stunde in der Küche am Tisch und redeten einfach. Len war so ganz anders. So gesprächig hatte ich ihn noch nie erlebt. Es war toll. Er erzählte von sich, seinen Eltern, seinen Geschwistern, alles klang so normal. Und je länger er redete, umso häufiger fragte ich mich innerlich, warum er auf der Straße gelandet war. Da war nichts, was ich als Grund hätte gelten lassen können. Seine Eltern waren nett zu ihm gewesen, er war nicht geschlagen worden, er hatte zwei nette ältere Brüder, eine ältere Schwester, zu der er jederzeit gehen könnte, wo er wohnen könnte. Warum hatte er das nicht getan, warum war er ausgestiegen, warum hatte er alles hingeworfen? Schließlich saßen wir im Wohnzimmer nebeneinander auf dem Sofa, Len hatte sich soeben eine neue Selbstgedrehte angezündet und da hielt ich es nicht mehr aus.
»Len, das… also das klingt jetzt vielleicht komisch…«, versuchte ich, meine Frage möglichst neutral zu formulieren. »Und das ist ohne jeden Vorwurf, aber ich würde es einfach gerne verstehen. Was du da erzählt hast, das… das klingt doch
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