Treffpunkt Irgendwo
setzen?«, bot sie an.
»Ich geh lieber hoch. Ich wollte noch Mia anrufen.« Zwar hatte ich Mia schon aus der S-Bahn per SMS über den neusten Stand informiert, aber auf ein Gespräch mit meiner Mutter, womöglich noch ein Mutter-Tochter-Gespräch hatte ich überhaupt keine Lust. Für mein Empfinden hatte ich den Tag über genug geredet.
»Okay.«
Oben in meinem Zimmer habe ich mir meinen Laptop geschnappt und mich aufs Bett verzogen. Ich war sauer auf Len, darüber, wie der Abend verlaufen war. Und während ich mich aus Langeweile nach langer Zeit einmal wieder bei Facebook einloggte, überlegte ich, was da eigentlich schiefgelaufen war. Warum hatten wir nicht die Kurve bekommen? Warum waren wir nicht von Vergangenheit auf Zukunft gekommen. Unsere Zukunft, ich hatte mir das so schön ausgemalt. Angekuschelt zusammen die Zukunft spinnen. Gemeinsam ausmalen, was aus uns werden würde, was wir machen könnten. Einfach so, ohne dass das tatsächlich so kommen musste oder man sich verpflichtet fühlte, alles so realistisch zu sehen. Mit Ole hatte ich das manchmal gekonnt. Einfach so eine gemeinsame Zukunft entworfen. Zusammen nach Neuseeland auswandern, ein paar Monate in Afrika in einer Schule mitarbeiten oder durch Amerika fahren. Komplett die Route 66.
Mit Len war das nicht möglich. Len hatte Angst vor der Zukunft. Weigerte sich einfach, sich damit zu beschäftigen.
Die Einträge meiner Freunde auf Facebook waren alle so erschreckend banal, dass ich mich schnell wieder ausloggte und aus Langeweile nach Lens Buch googelte. Von der Menge der Einträge war ich völlig überrascht. Das Buch war ja ein Klassiker, der Autor Ray Bradbury war weltbekannt. Und die Kommentare zu dem Buch waren echt beeindruckend. Vielleicht sollte ich das wirklich mal lesen. Nicht, um Len damit zu beeindrucken, eher um ihn und seine Gedanken besser zu verstehen.
Ich wollte es schon fast bestellen, da fiel mir ein, dass meine Eltern Lehrer waren, und wenn das so ein Klassiker war, dann müssten die das doch eigentlich haben.
»Mama, habt ihr das Buch Fahrenheit 451?«
»Weiß ich nicht, frag Papa.«
»Papa, haben wir Fahrenheit 451?«
Mein Vater griff nach der Fernbedienung und stoppte die DVD.
»Müsste im Arbeitszimmer stehen. Brauchst du das für die Schule?«
»Nein, wollte ich einfach so mal lesen.«
»Ich habe auch den Film. Von Truffaut, ein Klassiker, super Verfilmung, habe ich mir erst vor ein paar Monaten zugelegt. Ist in der Edition der Süddeutschen Zeitung erschienen.« Er deutete rüber auf das Regal mit den DVDs. »Müsste da links stehen.«
»Danke.«
Ich ging zum Regal und suchte mir die DVD raus, dann bin ich wieder hoch in mein Zimmer. Zum Lesen war ich zu müde, aber für einen Film war ich dann doch noch munter genug.
Ich öffnete die noch eingeschweißte Hülle, schob die DVD ins Laufwerk meines Laptops und startete den Player.
Der Film war etwas schräg, aber gut. Besonders erschütterte mich die Figur der Ehefrau des Feuerwehrmannes. Fast schon ein Zombie, die Tabletten schluckte und sich nur für ihre Serienfamilie im Fernsehen interessierte. Einmal, als sie zu viele Pillen geschluckt hatte, fiel sie in eine Art Koma und da kamen dann einfach zwei Sanitäter, haben ihr den Magen ausgepumpt, eine Blutwäsche gemacht und damit hatte sich das. Was mich aber richtig anrührte, war die Figur eines Mädchens. Die nicht so wie alle anderen leben wollte, anders als die anderen war. Im Regen spazieren ging, in der U-Bahn ohne Sinn und Zweck Leute belauschte, sich einfach so in der Stadt herumdrückte. Montag, der Feuerwehrmann, fragt sie einmal: »Warum bist du nicht in der Schule.« Sie antwortet: »Ach, man vermisst mich nicht.«
In dem Film verschwand das Mädchen dann eines Tages einfach, doch das Leben von Montag, dem Feuerwehrmann, dessen Beruf es war, Bücher zu verbrennen, war nach der Begegnung mit ihm nicht mehr wie vorher. Seine Sichtweise war verändert, er konnte sein bisheriges Leben nicht mehr weiterleben, stieg aus, wurde verfolgt, kriminalisiert und von der Polizei gejagt.
Die Parallelen zu Len, zu Len und mir, waren einfach erschütternd. Nachdem der Film zu Ende war, begann er erneut in meinem Kopf. Nur waren nun Len und ich die Hauptfiguren, er das Mädchen, ich der Feuerwehrmann und ich verstand so langsam, was Len versucht hatte, mir zu erklären. Mein Vater da unten vor seinem Flachbildschirm, die Hausbesetzer, das hatte alles miteinander zu tun.
Entscheidend war aber, auch Len
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