Treffpunkt Irgendwo
vermisste niemand.
Niemand außer mir. Und dann fragte ich mich plötzlich, würde Len mich auch vermissen. Dass ich keine Antwort darauf hatte, ließ mich noch lange wach im Bett liegen.
Am nächsten Morgen bin ich gleich nach dem Frühstück wieder mit der S-Bahn in die Stadt. Ich wollte mich bei Len entschuldigen, ihm sagen, dass ich ihn nun besser verstehen würde. Doch zu meiner Überraschung machte mir niemand auf. Ich klingelte, klopfte, aber hinter der Tür blieb es still.
Erst war ich besorgt, doch dann recht schnell sauer. Wieso war er nicht da? Eingekauft hatte er doch bereits gestern. Das konnte er doch nicht bringen, einfach so nicht da zu sein.
Ich überlegte für einen Moment, ob ich zum Alexanderplatz fahren sollte oder zur U-Bahn-Station Wittenbergplatz. Doch ich wollte ihm nicht schon wieder hinterherlaufen. Irgendwann war Schluss.
Also bin ich wieder zurück nach Marienfelde, erzählte meiner Mutter, dass es Len besser gehen würde, er aber müde sei und schlafen wolle.
Meine Mutter schlug vor, mit ihr zusammen den Wochenendeinkauf zu machen. Warum nicht. Anschließend haben wir alle zusammen zu Mittag gegessen, doch bereits am Nachmittag hielt ich es dann, allen Vorsätzen zum Trotz, schon wieder nicht mehr aus. Ich bin erneut in die Stadt, bin wieder mit S-Bahn und U-Bahn nach Moabit und habe in der Bredowstraße geklingelt.
Dass Len immer noch nicht da war, brachte mich nun echt in Rage. Das konnte, das durfte er nicht bringen. Mich einfach so vor verschlossener Tür stehen zu lassen. Es war immer noch kalt, es war wirklich kein Vergnügen, bei vier Grad permanent durch die Stadt zu düsen.
Wenn man es genau nahm, dann war das sowieso eher meine Wohnung als seine. Ich hätte eigentlich den Schlüssel haben müssen. Mia war meine Freundin, nicht seine. Dass ich hier vor verschlossener Tür stand, ging ja wohl gar nicht.
Mit tierischer Wut bin ich wieder zurück. Ich war derart geladen, dass ich meine Mutter, die nur freundlich fragte, wie es Len gehe, angebrüllt habe. Dass sie den Mund halten solle, sie das nichts anginge und sie mich gefälligst in Ruhe lassen solle. Ich sei gar nicht bei Len gewesen, was der Kerl machen würde, sei mir egal und sie seien alle elende Spießer. Ich knallte die Tür meines Zimmers hinter mir so kräftig zu, dass anschließend über dem Türrahmen ein Riss im Putz war. Während ich noch bebend vor Wut und Kränkung auf dem Bett lag, rief Mia an.
Als ich ihr die Neuigkeiten erzählte, schlug sie vor, ich könne doch zu ihr kommen. Auch gerne über Nacht. Ich sagte zu. Sich bei Mia auszukotzen, war besser, als einfach hier vor sich hin zu brüten.
Also bin ich zu Mia. Und Mia war echt eine Freundin. Sie hat sich mein Gejammer und Len-Beschimpfen stoisch angehört, und erst als ich endlich müde wurde, hat sie mir erklärt, ich hätte aber doch gewusst, worauf ich mich eingelassen hätte. Len sei nun mal ein Punk, niemand, der häuslich und normal sei. Und es sei doch unfair von mir, ihm genau das vorzuwerfen. Er könne vermutlich nicht anders.
»Trotzdem!«, widersprach ich.
»Kein Trotzdem, und das weißt du auch genau. Jana, mach dir doch nichts vor, was erwartest du denn?« Sie wagte ein Lächeln. »Dass er von jetzt an plötzlich brav in der Wohnung sitzt und dort auf dich wartet, mit gedecktem Tisch und so?«
»Ja!«
»Und dass dir innerhalb eines Tages gelingt, woran Eltern, Geschwister, Lehrer, Streetworker, die gesamte Gesellschaft sozusagen gescheitert sind?«
»JA!«, rief ich trotzig.
»Klar, alles ganz logisch.« Mia schüttelte mitleidig den Kopf. »So verliebt wäre ich auch einmal gerne. ›Liebe macht blöd‹, sagt man doch. Wenn ich dich so höre, dann musst du ja unfassbar verliebt sein.«
»Und was soll ich nun machen?«, fragte ich kleinlaut.
»Freu dich, dass Len bei der Kälte nicht draußen schlafen muss, dass er nun einen Ort hat, wo er hinkann. Jana, sieh das doch als den ersten Schritt.«
»Meinst du?«
»Klar, das wird.«
Wir haben uns dann auf DVD PS: Ich liebe dich angesehen, Mias Lieblingsfilm, Romantik pur. Und obwohl ich den Film auch schon einmal gesehen hatte, schaffte er es wirklich, mich abzulenken. Wir verbrauchten eine ganze Packung Kleenex.
Um Viertel vor zwölf klopfte dann Mias Mutter an die Tür, meine Mutter sei am Telefon. Meine Mutter wollte mir nur ausrichten, dass Sandra vom Basketball angerufen hätte und wir uns morgen bereits um zehn treffen würden. Auf meine Frage, warum sie mich nicht auf
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