Treibland
sie zustimmend, während ein vollbärtiger junger Mann aus dem Büro des Bürgermeisters die «überzogene Medienberichterstattung» beklagte. Obwohl er den Blick starr auf die graue Tischplatte gerichtet hielt, spürte Danowski, dass sich etwas im Raum veränderte, während der Bürgermeister-Assistent über die «katastrophale PR » sprach und mit routiniertem Beschwerdeton ausmalte, was es für die «Metropolregion Hamburg» bedeuten würde, wenn hier auf längere Zeit ein «Pestschiff» im Hafen liegen würde: «Entschuldigung, nicht meine Wortwahl, ich zitiere lediglich
mopo.de
. Und ich brauche hier niemandem zu erklären, dass wir nächste Woche Hafengeburtstag haben. Bis dahin hat sich das hoffentlich alles erledigt.».
Danowski schmunzelte unauffällig. Hafengeburtstag, der achthundertsoundsovielte, und jeden einzelnen hatte er verpasst. Eines von vielen rituellen Verkehrshindernissen, Fressstände und Dorfbums an den Landungsbrücken, Schlepperbalett auf der Elbe, für die Hamburger das Größte. Hauptsache, es war laut, voll und der Verkehr stand.
Schelzig hatte ihren Platz an der Wand verlassen und war drei Schritte in Richtung des Bürgermeister-Assistenten gegangen, bis sie schräg hinter ihm stand.
«Was schlagen Sie also vor?», fragte sie mit einer Stimme, als zerrisse langsam Stoff.
Der Abgesandte des Bürgermeisters hatte Mühe, seinen Kopf so zu drehen, dass er sie sehen konnte; sie stand in seinem toten Winkel. Schließlich gab er es auf und sagte, an Wilken Peters von der Gesundheitsbehörde gewandt: «Phasenweise Ausschiffung aller Passagiere über eine provisorische Screening-Station auf dem Parkplatz des Cruise Terminals. Ich glaube, die können Sie mit den Kollegen vom Technischen Hilfswerk noch heute Nachmittag aufziehen. An Bord des Schiffes sind etwa fünfzehnhundert Passagiere, mit einem Dutzend Ärzten können Sie die innerhalb eines Tages nach Verlassen des Schiffes untersuchen und alle, die Krankheitssymptome zeigen, in Altona oder Eppendorf isolieren. Und währenddessen die umgehende Rückkehr der ‹Großen Freiheit› in ihren Heimathafen Civitavecchia. Übermorgen kann der ganze Spuk vorbei sein.»
Danowski richtete sich auf. Das klang richtig gut, fand er. Bis dahin war vermutlich auch jemand aus Panama da, der sich dann vom Flughafen Fuhlsbüttel gleich auf den Weg machen konnte nach Italien.
«Und übermorgen kann der ganze Spuk vorbei sein», wiederholte Schelzig sarkastisch, als müsste sie sich die Pointe eines Witzes vergegenwärtigen, den sie gerade erst verstanden hatte. «Wissen Sie, was übermorgen passiert? Wenn der Spuk vorbei ist? Wenn das hier ein relativ exotisches Filovirus aus der Familie von Ebola und Marburg ist, dann ist möglicherweise übermorgen das Ende der Inkubationszeit, und Sie haben tausend oder tausendfünfhundert potenzielle Virenträger in alle Welt entlassen. In ganz Europa werden Menschen erst über leichte Rückenschmerzen klagen und ein, zwei Tage später ausspucken und ausscheiden, was von ihren Eingeweiden übrig ist. Menschen, die noch kerngesund waren, als sie durch Ihre Screening-Stationen gegangen sind. Lauter hochinfektiöse Wirte, die Hamburg gar nicht schnell genug loswerden konnte. Sie meinen, dann ist der Spuk vorbei? Ich glaube, Ihr kleines PR -Desaster fängt dann erst richtig an. Und Ihren Hafengeburtstag feiern Sie vielleicht lieber zu Hause, im engeren Familienkreis.»
Danowski biss die Zähne zusammen. Schelzigs Vehemenz beeindruckte ihn, weil ihm immer alles viel zu egal war, solange es nicht unmittelbar seine Familie oder seine Freizeitgestaltung betraf, und selbst da war er zu vielen Kompromissen bereit. Gleichzeitig war sie, wie Finzi gesagt hätte, einen Tick drüber: alle Regler auf elf. Es war nicht angenehm, ihr zuzuhören. Er blickte sich um und stellte fest, dass auch die anderen im Raum gequält guckten. Außer Wilken Peters, der nachdenklich den Kopf wiegte, als werde das alles hier im Fernsehen übertragen und er sei für die Rolle des unparteiischen Moderators gecastet. Ein Profi, dachte Danowski, dem immer auffiel, wenn Leute ihren Job gut beherrschten. Es kam seltener vor, als man dachte. Und es war immer angenehm, jemanden zu treffen, bei dem es so war, aber zugleich musste man auf der Hut sein, denn die Profis neigten dazu, alle anderen wie Amateure zu behandeln. Der Abgesandte des Bürgermeisters war roter geworden, als ihm lieb sein konnte.
«Und Sie sind?», fragte er.
«Tülin Schelzig vom
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