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Treue Genossen

Treue Genossen

Titel: Treue Genossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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war, gehörten Ermittlungsbeamte zum gewohnten Bild. Arkadi folgte einem Wärter durch einen Aufnahmeraum, in dem sich Neuzugänge, Burschen so blass wie gerupfte Hühner, auszogen und Sträflingskleidung hingeworfen bekamen, den Blick starr auf die einstigen Sargzellen gerichtet, die kaum tief genug zum Sitzen waren, und einen Vorgeschmack darauf gaben, was es hieß, lebendig begraben zu werden.
    Arkadi erklomm ausgetretene Marmorstufen. Zwischen den Geländern waren Netze gespannt, die verhindern sollten, dass Häftlinge sprangen oder Briefe austauschten. Im ersten Stock drang Licht durch niedrige Fenster, die aussahen wie sich senkende oder schließende Augenlider. Der Wärter führte Arkadi an einer Reihe alter, schwarzer Türen mit Eisenbeschlägen vorbei, die alle mit einer Klappe zum Durchreichen der Speisenäpfe und einem Guckloch versehen waren, »Ich bin neu hier«, sagte der Wärter. »Hier müsste es sein. Glaube ich jedenfalls.«
    Arkadi schob die Klappe über dem Guckloch zur Seite. Hinter der Tür teilten sich fünfzig Männer eine Zelle, die nur für zwanzig gedacht war. Kokser, Diebe, Kleinkriminelle. Sie schliefen schichtweise im trüben Licht einer Glühbirne im Drahtkorb und eines vergitterten Fensters. Es gab keinen Durchzug, keine frische Luft, nur den Gestank nach Schweiß, Graupenbrei, Zigaretten und dem Inhalt der einzigen Kloschüssel. In der Wärme, die sie erzeugten, hatten alle den Oberkörper frei gemacht, jungfräulich weiße Neulinge und Veteranen, blau von Tätowierungen. Tuberkulöses Husten und Geflüster erfüllten die Luft. Ein paar Köpfe fuhren herum, als das Guckloch blinzelte, doch die meisten regten sich nicht. Ein Mann konnte neun Monate im Butyrka warten, ehe er einem Richter vorgeführt wurde.
    »Nein? Dann vielleicht die hier?« Der Wärter winkte Arkadi zur nächsten Tür.
    Arkadi spähte in die Zelle. Sie war ebenso groß wie die andere, hatte aber nur einen Insassen, einen Bodybuilder mit kurzem blondiertem Haar und hautengem schwarzem T-Shirt. Er trainierte gerade mit elastischen Bändern, die an einem an der Wand verschraubten Etagenbett befestigt waren, und jedes Mal, wenn sich ein Bizeps wölbte, ächzte das Bett.
    »Hier ist es«, sagte Arkadi.
    Anton Obodowski war ein erfolgreicher Mafioso. Als verdienter »Meister des Sports« und mittelprächtiger Boxer hatte er zunächst in der Ukraine als Gorilla für eine Lokalgröße gearbeitet. Doch Anton war ehrgeizig. Kaum im Besitz einer Schusswaffe, raubte er Autos, indem er ihre Fahrer auf offener Straße einfach aus dem Wagen zerrte. Später nahm er Bestellungen für bestimmte Marken an, organisierte eine Autoschieberbande, die in Deutschland Luxuskarossen klaute und dann in Konvois über Polen nach Moskau schmuggelte. Einmal in Moskau, erweiterte er sein Betätigungsfeld. Er bot kleinen Firmen und Restaurants seinen Schutz an und übernahm sie später selbst. Die Firmen schlachtete er aus, die Restaurants benutzte er als Geldwaschanlagen. Der Mann lebte wie ein Fürst. Morgens um elf stand er auf und nahm einen Eiweißtrunk zu sich. Dann folgte eine Stunde im Kraftraum. Danach geschäftliche Kontaktpflege am Telefon und ein Besuch in den Autowerkstätten, in denen seine Mechaniker gestohlene Autos in ihre Einzelteile zerlegten. Er kaufte in Modegeschäften ein, die kein Geld von ihm nahmen, und speiste gratis in Restaurants. Er trug dunkle Anzüge von Armani, feierte Partys mit den schönsten Prostituierten, in jedem Arm eine, und bezahlte niemals für Liebesdienste. Ein Diamantring in Form eines Hufeisens signalisierte, dass er ein Glückspilz war. In bestimmten Schichten der Gesellschaft galt er als König, und dennoch, ja, dennoch war er unzufrieden.
    »Die Banker, das sind die wahren Diebe. Die Leute bringen dir ihr Geld, und du bescheißt sie, aber niemand zieht dich dafür zur Rechenschaft. Ich verdiene hunderttausend Dollar, Banker und Politiker hundert Millionen. Im Vergleich zu denen bin ich ein Würstchen.«
    »Sie haben’s hier nicht schlecht«, meinte Arkadi. Die Zelle war mit Fernsehgerät, Kassettenrekorder und CD-Player ausgestattet. Eine Schachtel von Pizza Hut lag unter der unteren Pritsche. Auf der oberen stapelten sich Autozeitschriften, Reiseprospekte und Motivationskassetten. »Wie lange sind Sie schon hier?«
    »Zwei Nächte. Ich wünschte, wir hätten Satellitenfernsehen. Der Empfang ist beschissen, weil die Wände in dem Laden so dick sind.«
    »Das Leben ist hart.«
    Anton musterte Arkadi

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