Treue Genossen
von oben bis unten. »Sehen Sie sich Ihren Regenmantel an. Haben Sie damit Ihren Wagen poliert? Sie sollten mal mit mir einkaufen gehen. Es deprimiert mich, dass ich im Bau besser angezogen bin als Sie draußen.«
»Ich mit Ihnen einkaufen? Das kann ich mir nicht leisten.«
»Auf meine Rechnung. Ich kann sehr spendabel sein. Für alles, was Sie hier sehen, bezahle ich. Alles ist legal. Man erlaubt mir alles bis auf Alkohol, Zigaretten und Telefon.« Anton hatte eine ruhelose, haifischähnliche Natur, die ihn dazu trieb, ständig auf und ab zu gehen. Ein Mann konnte einen steifen Hals bekommen, wenn er sich mit Anton nur unterhielt, dachte Arkadi.
»Was fehlt Ihnen am meisten?«
»Das Telefon, denn ich trinke und rauche nicht.« Niemand hatte einen so gewaltigen Verschleiß an Handys wie die Mafia. Sie benutzten gestohlene, damit sie nicht abgehört werden konnten, und ein vorsichtiger Mann wie Anton legte sich jede Woche ein neues zu. »Man wird abhängig. Es ist wie ein Fluch.«
»Es hat zum Niedergang des geschriebenen Worts geführt. Sie strotzen vor Gesundheit.«
»Ich trainiere jeden Tag. Keine Drogen, keine Steroide, keine Hormone.«
»Zigarette?«
»Nein, danke. Ich habe Ihnen doch gerade gesagt, dass ich mich in Form halte und sauber bleibe. Es macht mich traurig, wenn ich einen Mann wie Sie rauchen sehe.«
»Ich bin eben schwach.«
»Renko, Sie müssen mehr auf sich Acht geben. Oder wenigstens Rücksicht auf andere nehmen. Denken Sie ans Passivrauchen.«
»Na schön.« Arkadi steckte die Packung weg. Es sah es nicht gern, wenn Anton sich ereiferte. Genau genommen gab es drei Antons. Da war zunächst der gewalttätige Anton, der einem so leicht das Genick brechen konnte, wie er einem die Hand schüttelte, dann Anton, der kühl rechnende Geschäftsmann, und schließlich der Anton, dessen Blick nervös umherirrte, wenn das Gespräch persönlich wurde. Am wenigsten mochte es Arkadi, wenn Anton der Erste in Wallung geriet.
»Ich finde einfach«, erklärte Anton, »dass man in Ihrem Alter mit seinem Körper kein Schindluder treiben sollte.«
»In meinem Alter?«
»Ach, machen Sie, was Sie wollen, ist mir doch scheißegal.«
»Das gefällt mir schon besser.«
Ein Grinsen kroch über Antons Lippen. »Hören Sie, mit Ihnen kann man reden. Wir verstehen uns.«
Und das taten sie. Beide verstanden, dass sich die Existenz dieser Luxuszelle nur den verspäteten Bemühungen verdankte, die einstige Schreckenskammer Butyrka den Standards des modernen europäischen Strafvollzugs anzunähern, und beide Männer wussten, dass eine solche Zelle an den Meistbietenden ging. Zudem war beiden bekannt, dass auf den Straßen zwar die Mafia regierte, auf den Gefängnishöfen aber nach wie vor eine Unterkaste tätowierter altersschwacher Krimineller. Hätte man Anton in eine gewöhnliche Zelle gesteckt, wäre das so gewesen, als hätte man einen Hai in ein Piranhabecken geworfen.
Anton konnte nicht still sitzen, ohne hier mit einem Brust-, dort mit einem Deltamuskel zu zucken. »Sie sind in Ordnung, Renko. Wir sind vielleicht nicht in allem einer Meinung, aber Sie behandeln einen immer mit Respekt. Können Sie Englisch?«
»Ja.«
Anton zog eine Zeitschrift mit dem Titel Architectural Digest von der Pritsche und blätterte bis zu dem Foto eines Sommerhauses im Westernstil, das sich an den Fuß einer Bergkette schmiegte. »Colorado. Herrliche Natur und als Geldanlage relativ günstig. Was halten Sie davon?«
»Können Sie reiten?«
»Ist das nötig?«
»Ich glaub schon.«
»Ich kann es lernen. Ich gebe Ihnen das Geld. In bar. Sie fliegen rüber, verhandeln und zahlen, was Sie für angemessen halten. Daraus könnte eine wunderbare Partnerschaft werden. Sie haben ein ehrliches Gesicht.«
»Ich weiß das Angebot zu schätzen. Wissen Sie schon, dass Pascha Iwanow tot ist?«
»Aus den Fernsehnachrichten. Er ist aus dem Fenster gesprungen, richtig? Aus dem zehnten Stock, ein tiefer Fall.«
»Haben Sie ihn gekannt?«
»Ich und Iwanow gekannt? Das wäre so, als würde ich den lieben Gott kennen.«
»Sie haben ihm gestern Abend eine Nachricht aufs Handy gesprochen, von wegen, dass Sie ihm den Schwanz abschneiden wollen. Das klingt so, als hätten Sie ihn ziemlich gut gekannt. Man könnte es sogar als Drohung auffassen.«
»Telefon ist hier verboten, wie hätte ich ihn da anrufen sollen?«
»Sie haben einen Wärter bestochen und vom Wachraum aus telefoniert.«
Anton sprang auf und bearbeitete mit den Fäusten einen
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