Treue Genossen
froh, dass er vorsichtshalber das Magazin entfernt hatte. »Aber vielleicht hast du ja lieber festen Boden unter den Füßen.«
Es ging nur im Schneckentempo voran, obwohl sich Autos auch über den Mittelstreifen und die Standspur schlängelten.
»Früher war es noch schlimmer«, erklärte Arkadi. »Auf der gesamten Strecke blieben Autos am Straßenrand liegen. Kein Fahrer brach ohne Schraubenzieher und Hammer von zu Hause auf. Von Autos verstanden wir nichts, aber mit einem Hammer konnten wir umgehen.« Schenja versetzte dem Päckchen einen letzten Tritt. »Und die Windschutzscheiben hatten so viele Sprünge, dass man wie ein Hund den Kopf aus dem Fenster strecken musste, um etwas zu sehen. Was ist deine Lieblingsmarke? Maserati? Moskwitsch?« Eine lange Pause.
»Mein Vater fuhr mit mir immer in einem großen ZIL hier lang. Damals war die Straße nur zweispurig, und es gab kaum Verkehr. Wir spielten Schach beim Fahren, aber ich war nie so gut wie du. Meistens habe ich Puzzles gelegt.« Ein Toyota mit einem Rücksitz voller Kinder überholte sie. Sie spielten Schere-Stein-Papier. »Gefallen dir japanische Autos? Ich war mal in Wladiwostok, da habe ich gesehen, wie haufenweise nagelneue russische Autos nach Japan verschifft wurden.« Tatsächlich wurden die Autos in Japan als Metallschrott verwertet. Aber wenigstens waren die Japaner so anständig zu warten, bis sich die Autos in ihrem Land befanden, bevor sie sie wie Bierdosen zerquetschten. »Was hat dein Vater gefahren?«
Arkadi hoffte, der Jungen würde ein Auto erwähnen, das sich irgendwie ausfindig machen ließ, doch Schenja versank in seiner Jacke und zog sich die Mütze ins Gesicht. Neben der Straße tauchte eine Gedenkstätte auf. Sie bestand aus Panzersperren, die aussahen wie überdimensionale Hebeböcke und markierten, wie nahe die Deutschen im Großen Vaterländischen Krieg an Moskau herangekommen waren. Heute wirkte die Gedenkstätte unscheinbar neben der riesigen Halle eines Ikea-Markts und den vielen Autos, die mit hellen schwedischen Möbeln voll gestopft wurden. Ballons, die für Panasonic, Sony und JVC warben, wiegten sich über einem Verkaufszelt für Konsumelektronik im Wind. Gartencenter lockten mit Vogelbädern und Gartenzwergen. Genauso sah Schenja aus, dachte Arkadi, wie ein trauriger Gartenzwerg mit Ohrenklappenmütze, Buch und Schachspiel.
»Es sind auch andere Kinder da«, versprach Arkadi. »Es gibt Spiele, Musik und etwas zu essen.«
Jede Karte, die Arkadi ausspielte, wurde mit Verachtung übertrumpft. Er hatte Eltern in dieser quälenden Situation erlebt, in der jeder Vorschlag als idiotisch abgetan wurde und keine Frage eine Antwort verdiente, und bei allem Mitgefühl hatte er stets einen Seufzer der Erleichterung darüber ausgestoßen, dass er nicht der Erwachsene war, der da ans Kreuz genagelt wurde. Daher wusste er jetzt nicht so recht, warum er, ein alleinstehender Mann, sich einer solchen Verachtung aussetzen sollte. Soziologen beobachteten die sinkenden Geburtenraten in Russland mit Sorge, und er vermutete, dass es, wenn man Paare zwänge, mit Schenja eine Stunde im Auto zu verbringen, überhaupt keine Geburtenrate mehr geben würde.
»Es wird bestimmt lustig«, sagte Arkadi.
Arkadi gelangte in einen Vorort mit Fitnessklubs, Espressobars und Sonnenstudios. Hier waren die Datschas keine traditionellen Häuschen mit undichten Dächern und Gärten, in denen es aussah wie Kraut und Rüben, sondern Fertighäuser mit griechischen Säulen, Swimmingpools und Überwachungskameras. Dort, wo die Straße sich zu einem Feldweg verengte, parkten wuchtige Geländewagen, und Sicherheitsleute Iwanows winkten ihn an die Seite. Arkadi trug denselben schäbigen Regenmantel wie im Butyrka-Gefängnis, und Schenja sah aus wie eine Geisel, doch die Wachen fanden ihre Namen auf einer Liste, und so passierten die beiden Eindringlinge das Eisentor und betraten ein Grundstück, dessen fußballplatzgroßer Rasen in eine extraterrestrische Welt verwandelt worden war.
Kinder ritten auf rosa Ponys und blauen Lamas im Kreis. Ein Jongleur jonglierte mit Monden. Ein Zauberer knetete Marshunde aus Luftballons. Künstler schminkten Kindergesichter mit Glitzerstaub und Farbe, während ein Venusianer, hoch aufgeschossen wegen der geringen Schwerkraft auf seinem Planeten, auf Stelzen ging. Kleinkinder spielten unter einem aufgeblasenen, am Boden vertäuten Weltraumfahrer, und größere Kinder stellten sich an, um Tennis oder Badminton zu spielen oder auf einem
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