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Treue in Zeiten Der Pest

Treue in Zeiten Der Pest

Titel: Treue in Zeiten Der Pest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
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verdanke ich meinem Gefährten Joshua, von dem ich bereits erzählte, und einem weiteren Freund, dem Sarazenen Uthman ibn Umar. Joshua schlägt als Mittel gegen die Pestilenz Theriak aus Toledo vor. In dieser bestimmten Zusammensetzung ist es leider nur in Spanien, eben in Toledo, erhältlich. Dazu mischt er Hornpulver, Schwefel, geriebene Walzähne, Aloe, Wacholderbeeren- und Bernsteinöl. Schließlich gibt er noch eine destillierte Tinktur aus Muschelkalk und etwas Opium hinzu, um die Wirkung zu verstärken.«
    »Exotisch«, murmelte der Magister. Er schien jedoch sehr interessiert.
    »Joshua zufolge wirkte das Mittel bei der Epidemie in Spanien sehr gut. Leider geriet er dadurch, dass er es verteilte, in den Verdacht, ein Hexer zu sein, und die Inquisition wurde auf ihn aufmerksam.«
    Magister Priziac war beeindruckt. Dann deutete er in einen angrenzenden Raum. »Da drüben werden übrigens Hornklauen und Menschenhaut verbrannt.«
    Die Stimmung in diesem Raum war weniger bedrückend, und niemand scheuchte sie fort. Beim Hinausgehen blieb Henri vor einem Krankenlager stehen. Darauf saß eine junge, ziemlich hübsche Frau mit entblößten Schultern, an denen sich zwei vermummte Pfleger zu schaffen machten. Henri hätte liebend gern mit ihr oder einem der anderen Kranken gesprochen, doch der Anblick ihres Leids und ihrer meist offenen, schwärenden Wunden schreckte ihn ab. Man hatte der apathisch wirkenden Frau zwei Beulen aufgeschnitten und die Wunden dann mit einer Tinktur bestrichen. Zuletzt legten die Pfleger kleine Kupferscheiben auf die offenen Wunden.
    »Damit«, erklärte der Magister, »sollen die Seuchengifte durch die offene Wunde aus dem Körper herausgezogen werden.«
    Von einem Krankenlager in einem anderen Raum waren plötzlich laute Schmerzensschreie zu hören. Während der Magister zu einem anderen Patienten gerufen wurde, ging Henri den Schreien nach. Beim Vorbeigehen sah er, wie der Arm eines Kranken mit kochendem Wasser übergossen wurde. Wie angewurzelt blieb er stehen.
    »Das ist ja barbarisch!«, entfuhr es ihm.
    »Es ist schlimm, das stimmt, aber die Verbrennungen helfen bei der Heilung«, erklärte ihm ein Pfleger. »Das mag Euch unverständlich erscheinen, aber es ist eine wirksame Methode.«
    Kann das sein?, fragte Henri sich verblüfft. Sollten Verbrennungen helfen, die giftigen Säfte aus den Körpern der Erkrankten zu vertreiben? Er hatte so etwas noch nie gehört, aber er wusste ja auch nur allzu wenig von der Medizin.
    Henri ging noch eine Weile im Hospital herum, bis er genug gesehen hatte.
    »Lasst uns gehen«, rief er, »sonst stecken wir uns doch noch an. Wir sollten das Schicksal nicht herausfordern.«
    »Ich bleibe«, entgegnete der Magister. »Meine Arbeit hier beginnt ja gerade erst. Sobald ich etwas Zeit habe, werde ich noch einmal bei Angélique vorbeischauen.«
    Als Henri nach all dem Elend im Hospital auf die Straße trat, erschienen ihm die Menschen hier ganz unwirklich. Er konnte kaum glauben, dass mitten in Quimper noch Gesunde mit wohlgeformten Gliedern und seidiger Haut lebten. Dann sah er plötzlich etwas, das ihm wieder Angst einflößte.
    Ein junger Mann kam die Straße heraufgetorkelt. Er wirkte auf den ersten Blick gesund, wenn auch etwas bleich. Als er nur noch etwa zehn Schritte entfernt war, erblickte Henri an dessen Hals die gleichen dunklen Beulen, die er bei den Kranken im Hospital gesehen hatte. Der Mann würgte plötzlich und erbrach sich, dann fasste er sich an den Hals und fiel wie ein Stein zu Boden.
     
     
    In den folgenden Tagen legte die Seuche wieder einmal eine Pause ein. Der Wind vom Meer her wurde stärker und brachte frische Luft zum Atmen, den Menschen in Quimper schien es, als habe er ihr Elend fortgeweht. Vielleicht waren ihre Gebete endlich erhört worden, dachten sie. Die Leute öffneten ihre Fenster und Türen und strömten wieder auf die Straße. So mancher hob gar schon die Hände zum Himmel und dankte dem Herrn für seine Gnade.
    Doch nur ein paar Tage später war die Pest wieder da. Niemand konnte erklären, warum sie zurückgekehrt war. Die Ärzte waren ratlos, ebenso die Priester, die ihre Weihrauchfässer nachfüllten und sie schweigend weiter schwenkten.
    Jeder hätte Quimper jetzt liebend gern verlassen. Aber vor den verschlossenen Stadttoren waren mittlerweile noch mehr Soldaten aufgezogen.
    Nachdem sich das Leben noch einmal kurz aufgebäumt hatte, beherrschten nun wieder vermummte Männer das Stadtbild. Frauen waren nicht mehr

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