Trias
kalt und wehte ihm in den Kragen. Croy hielt sich ein Fernglas mit starker Brennweite vor die Augen und fokussierte seine Okulare scharf.
Bis auf das Herzstück des Chemiekomplexes - er sah zahllose Röhren mit Ventilen, Flanschen, Elektrokästen und Eisenrädern - waren da noch vier zweistöckige Steinbaracken, die offensichtlich die Verwaltung beherbergten. Den Eingang in die unterirdischen Stollen sah er von seinem Beobachtungspunkt noch nicht. Dafür aber vereinzelte Arbeiter, die nach seiner Überzeugung demnächst in den Feierabend gehen müssten. Das Gelände erschien ihm erstaunlich zahm bewacht. Der Metallzaun rings um das Areal herum war zwar mit dichtzackigem Militärdraht überhüllt worden; doch Kameras waren nur am Haupttor und auf den Dächern der Baracken montiert. Croy zählte sie und kam auf acht Videospione. Er suchte das Gelände weiter ab und stoppte bei einem steingrauen, führerlosen Peugeot-Kombi, zoomte dichter heran und sah auf das Kennzeichen. Irgendeinen Gedanken löste das Fahrzeug in ihm aus. Er kam nicht darauf. Das Kürzel CD für Corps Diplomatique war deutlich zu erkennen. Er notierte sich Zahlen und Buchstaben und gab die Kombination per Kurzmitteilung mit seinem tschechischen Funktelefon an das BKA in Berlin weiter.
Schnell sah er auf die Uhr. Kurz vor fünf. Zurück in seinem Wagen hörte er die Werksirenen heulen. Er startete den Motor. Er wusste, dass ihm nun nicht mehr viel Zeit blieb.
Zufall und Kalkül trafen an diesem Ort aufeinander wie eineiige Brüder. Dass Croy und mit ihm gleichzeitig BND-Agent Hans Strachow in Semtin waren, mochte als Zufall gelten, aber auch als Kalkül. Croy und Strachow wussten beide um die Vorzüge eines Freitags für geheime Operationen in Büros, Firmenzentralen und Lagern.
Croy passierte die Schranke mit seinem von Malichova präparierten Ausweis, doch der Mann vom Werkschutz stoppte ihn. Als Croy die Scheibe seiner Wagentür herunterließ, blickte ihn der Wachmann schief an, zeigte auf seine Uhr und sagte auf Tschechisch: »Wir haben gleich Feierabend.«
Croy nickte verständnisvoll und gab seinem Gesicht einen gehetzten und gleichzeitig entschuldigenden Ausdruck. Er konnte und wollte es nicht riskieren, in ein längeres Gespräch in der für ihn noch immer fremden Sprache verwickelt zu werden.
»To je dulezita kontrola, prosim! Eine wichtige Kontrolle, bitte!«, sagte er souverän und achtete darauf, dass er sein R dabei schön rollte. Schließlich hatte er in der Schule Russisch gelernt.
»Dobri«, sagte der Wachmann, zeigte nochmals auf seine Uhr und winkte ihn durch. Offensichtlich hielt man den Zeitpunkt des Feierabends hier peinlich genau ein. Während sein Wagen langsam über das Werksgelände rollte, sah er auf sein Mobiltelefon. Noch immer keine Antwort aus Berlin wegen des Nummernschilds. Croy spürte eine innere Unruhe, fragte sich, was der Fahrer des Peugeot hier verloren hatte. Er umkreiste mit seinem offiziellen Ministeriumswagen kurz den Haupteingang des Werks und stellte das Auto an der rückwärtigen Seite ab. Zwischen ihm und dem mysteriösen Peugeot stand lang und breit eine flache Halle, die aus Betonfertigteilen zusammengesetzt worden war und nur sehr wenige Fenster hatte. Er griff nach seinem breiten Waffenkoffer und ging die wenigen Meter zum Lager zu Fuß. Dabei drückte er seine Bauchmuskeln gegen die Waffe in seinem Holster. Dass er sie spürte, machte ihm Mut.
Er gab sich äußerlich ruhig und souverän. Aber in seinem Innern rumorte es. Als ginge er hier täglich ein und aus, schob er sich lässig durch die Drehtür ins Lagerhaus, spazierte bis ans Ende des kurzen Flurs und sah sich einem Wachmann gegenüber, der vor mehreren Monitoren saß.
»Dobri rano, Pane«, grüßte er freundlich und drückte seinen Ausweis gegen die Scheiben.
Der Mann fixierte den Ermittler kurz, erhob sich dann unwillig und deutete auf die Uhr über sich. Sie zeigte auf 17 Uhr 12.
Croy aber schob seine Identitätskarte durch eine schmale Öffnung: Marcik Croy, Controller, las der Wachmann. Sein Kreuz war beinahe so breit wie die Tür, durch die Croy hindurchwollte.
Der Wachmann verengte seine Augen. Croy spürte ein mulmiges Gefühl, dann aber ertönte ein digitales Geräusch, die Tür neben dem Wächterbüro sprang auf. Croy konnte passieren.
Die Beschilderung führte ihn vom Office direkt in die oberirdischen Lager des offiziell eingelagerten und registrierten Sprengstoffs. Die Halle war von Betonsäulen abgestützt, von
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