Trias
Ofen. Er zog seinen Kopf zurück. Sie sah ihn verschlafen an, bedeckte aber sofort ihr Gesicht mit den Händen.
»Das brauchen Sie noch nicht«, sagte er ironisch. Er zog sich ins Bad zurück. Die heiße Dusche linderte die körperlichen Camping-Syndrome. Als er, nur mit einem schmalen Handtuch bekleidet, ins Zimmer zurücktrat, saß Katja aufrecht im Bett, die Decke dicht an sich herangezogen.
»Habe ich mich gestern Abend gut erzogen benommen?«, fragte sie schüchtern. Sie sah ungeniert auf Croys nackten Oberkörper, auf seine minimale Brustbehaarung, auf die gut ausgebildeten Muskeln seiner Oberarme und Beine. Der Ausflug ihrer Augen endete, wo das Handtuch begann. Eine Handbreit unter seinem Bauchnabel.
»Ja, das haben Sie.« Croy genoss die Wärme, die ihre Augenwanderung in seinem Innern auslöste. Er kämpfte erst gar nicht gegen seine aufsteigenden Gefühle an. Er hob Katjas Bettdecke am Fußende an, löste sein Handtuch und schlüpfte geschmeidig über ihre nackten Beine zu ihrem Kopf. Katja versank augenblicklich in eine waagerechte Lage.
»Ich mag Männer, wenn sie sich Zeit lassen«, wisperte sie noch in sein Ohr.
Vor dem Fenster war der Prager Berufsverkehr in vollem Gang. Autos schoben sich Meter für Meter vorwärts, stoppten, fuhren wieder an. Menschen drängten sich zwischen den Autos hindurch, stiegen in überfüllte Straßenbahnen oder warteten das nächste Verkehrsmittel ab. Es regnete in Strömen.
Beinahe zwei Stunden später lag die Bettdecke aufgeschlagen quer über dem Bett. Katja duschte, während Markus Croy auf dem Weg in den Frühstücksraum war. Auf seinem Gang hinunter pfiff er ausgelassen und etwas schief das romantische Ouvertüren-Motiv Notre Dame aus der gleichnamigen Oper des Wiener Spätromantikers Franz Schmidt.
Als sie sich nach einem ausgiebigen Frühstück und der gemeinsamen Lektüre deutscher Tageszeitungen auf den Weg nach Pardubice machten, war es weit nach Mittag. Der Regen hatte sich noch verstärkt. Lautstark trommelten Tausende Wassertropfen auf Motorhaube und Wagendach. Die Wischerblätter des Skodas leisteten wacker Widerstand. Katja Kirchner saß mit glänzenden Augen, aber fröstelnd und mit angezogenen Beinen neben ihm. Ihr Hund sah aus dem Fond zwischen ihnen nach vorn.
Während er den Wagen aus der Stadt steuerte, blickte Croy angestrengt durch den Dunst auf die Straße. Das Navigationsgerät leitete sie jetzt in Richtung Ostböhmen. Auf freier Strecke wanderte ab und an seine Hand zu ihr hinüber, wo sie nicht allein blieb. Das Radio bot Dionne Warwicks Yours. Croy summte das Lied leise mit.
Als sie nach beinahe neunzig Minuten Fahrzeit die ersten Vororte Pardubices passierten, war es kurz vor sechzehn Uhr. Croy bat Katja nochmals eindringlich, ihm später nicht zu folgen. Er hielt am Marktplatz, der von mittelalterlichen Häusern umbaut war und in dessen Mitte eine breitstämmige Linde und eine Pestsäule standen. Ihre Figuren illustrierten das Leiden der grausamsten Epidemie des Mittelalters.
Croy zeigte auf ein italienisches Restaurant, an dessen Dachfirst, aufgereiht wie Perlen, die zwölf europäischen Fahnen hingen. »Treffen wir uns dort um acht. Also in etwa drei Stunden.«
Katja nickte nur stumm, nahm seine Hand und küsste ihn flüchtig auf die Wange. Als Croy abgefahren und um die nächste Ecke gebogen war, setzte sie sich zu Füßen der Linde auf eine Parkbank, schlug den Kragen ihres Mantels hoch und sah scheu auf den Platz, den sie ohne Croy wohl nie betreten hätte. Mit einem Hund ist man nie allein, dachte sie und schickte sich ins Warten.
Croy folgte indessen der Beschilderung in den Pardubicer Vorort Semtin. Seine Fahrt führte an ockerfarbenen Mietskasernen aus den Siebzigerjahren, an schmucklosen Einfamilienhäusern aus den Dreißigerjahren, aber auch neu errichteten Fertighäusern vorbei. Aus der Ferne sah er Schornsteine von etwa dreißig Metern Höhe und wenig später die Umrisse des Sprengstoffwerks Explosia. Das Werk lag in einer Talsenke, nur unweit von einigen Wohnhäusern in Plattenbauweise entfernt. Sie waren beinahe bis an die Werkstore herangebaut und machten nicht den Eindruck, von einem fähigen Architekten entworfen worden zu sein.
Er parkte unauffällig zwischen den Autos von Anwohnern, ging ein paar Schritte zu Fuß und stellte sich neben ein Transformatorenhäuschen, das ihm durch ein überhängendes Dach Schutz bot. Der Regen hatte zwar leicht nachgelassen und war in Niesel übergegangen, doch er war
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