Trias
Augen glänzten. Er war überrascht. Damit hatte er nicht gerechnet.
Katja trug einen eng geschnittenen und hoch geschlossenen Mantel, der die schmale Silhouette ihres Körpers nachzeichnete und nur am Kragen ein winziges Stück hellblauen Blusenstoff freigab. Sie war dezent geschminkt und trug Ohrringe aus winzigen blauen Kristallen. Croy sog den Duft eines leichten Parfüms ein. Sie gefiel ihm, und der Lockstoff wirkte.
»Geben wir dem Abend, was er verdient, Mister Croy.«
»O ja, lassen Sie uns doch in den Frühstücksraum gehen«, schlug er vor.
Sie folgte ihm. Croy setzte sich auf den Stuhl, auf dem kürzlich noch Michael Storm das Leben Franz Hilperts nachgezeichnet hatte. Die etwas gespreizte Atmosphäre zu Beginn wurde schnell vom Champagner entkrampft. Und obwohl Katja aus ihrer Niedergeschlagenheit anfangs keinen Hehl machte, heiterte sich ihre Stimmung nach und nach auf. Sie trank schnell und hatte schließlich ein Glas Vorsprung. Als die Flasche leer war, sprach Croy von plötzlichen Hungergefühlen und bestand auf einem Pizzarestaurant um die Ecke. Katja willigte beschwipst ein. Die Pizza war schlecht, doch der Weißwein anständig. Als sie wieder vor die Tür traten, segelte der Gleichgewichtssinn Katjas in unruhigen Gewässern. Croy war nüchterner geblieben. Der Einsatz in Semtin am nächsten Tag hatte wie ein Schatten über dem Abend gelegen und ihn etwas verspannt. Sie drückte sich jetzt beschwipst und etwas unbeholfen an ihn. Der Wind war zugig und kalt. Im Licht der Straßenlaternen sah er feine Puderstäubchen auf ihren Wangen.
»Soll ich Ihnen ein Taxi rufen?«
Sie fasste ihn an die Hand. »Nein, seien Sie ein Kavalier. Lassen Sie mich trauriges Mädchen jetzt nicht allein.« Zwischen ihn und sie passte nicht mal mehr ein Blatt Papier.
Der Hund fiepte leise.
Croy fühlte Zweifel, Begierde und Lust. Sie hüllte ihn mit diesem Parfüm ein, das so leicht wie ein Atemhauch war. Katja blickte ihn verspielt und zutraulich, aber mit einer Spur Unsicherheit an. Das Glück, das er jetzt spürte, war lautlos gekommen. Und irgendwie fürchtete er, dass es ihn laut polternd wieder verließ.
»In die Pension?«, fragte sein Mund ihren.
»Ja«, öffneten sich ihre Lippen.
Er hielt ihre Hand fest, aber nicht zu fest. Gemeinsam liefen sie durch den kalten Dezemberregen die dunkle Straße hinunter, bis sie eine kleine Kurve einfach verschluckte.
Im Zimmer seiner Pension bestand er trotzdem darauf, dass er auf dem Boden schlief. Die Lage war bereits kompliziert genug. Jetzt ein Verhältnis mit dieser zugegebenermaßen attraktiven Frau anzufangen, konnte seinem Gefühl nach nur zu Schwierigkeiten führen. Und die waren das Letzte, was er im Augenblick brauchen konnte. Außerdem hielt er es für geschmacklos und billig, diese Situation auszunutzen. Katja hingegen blieb nicht mehr die Zeit, sich über Croys Zaudern zu wundern. Der Alkohol knickte ihr augenblicklich die Beine weg. Sie warf noch schnell einige Kleidungsstücke und ihre Ohrringe ab und versank von einem Moment auf den anderen in einem tiefen, ruhigen Schlaf.
Croy suchte sich einen Platz am Boden. Der Boxer hatte sich vorsichtig an ihn herangerobbt und legte die Schnauze auf seinen Füßen ab. Croy ließ es geschehen. Ihm erschien sein Handeln zwar konsequent; aber dass er mit einer Frau richtig glücklich war und sie mit Haut und Haaren geliebt hatte, lag schon zu lange zurück, als dass er diese Situation nicht bedauerte.
16
Prag, 6. Dezember, am Morgen
Es regnete so stark, als verabschiede sich die Welt für immer vom Tageslicht. Über der Stadt lag ein graues Dampfgemisch, aus dem sich die goldenen Türme Prags wie Spitzen eines überirdischen Riffs erhoben. Gewaltige Pfützen sammelten sich auf den Kopfsteinpflastern, über die der Wind so stark fegte, dass er auf ihnen Wellen erzeugte.
Croys Funktelefon riss ihn aus dem Schlaf. Noch benommen stellte er die Weckfunktion ab. Seit seinen Ausflügen mit Zelt, Schlafsack und Boot hatte er nicht mehr so hart geschlafen.
Katja schien nicht wach geworden zu sein. Sie atmete ruhig und regelmäßig. Was gestern Abend geschehen war, kam ihm plötzlich sehr unwirklich vor. Sein Rücken schmerzte, sein linker Arm fühlte sich taub an. Er stemmte sich aus seiner Bodenlage nach oben und beugte sich über die schlafende Journalistin.
»Guten Morgen«, flüsterte er leise. Keine Reaktion. Er sprach etwas lauter. Sie schnurrte wie ein Kätzchen auf einer warmen Bank vor einem noch wärmeren
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