Trias
ihm Überlebensangst die Luft ab. Er kannte die chinesische Strafe für Versagen nur zu gut. Und als Versager fühlte er sich in der Tat. Nach den von ihm selbst aufgestellten Regeln drohte ihm für diese Niederlage eine standgerichtliche Erschießung.
Doch sowohl Zhou als auch Regierungschef Jiang reagierten überraschend sanft und boten ihm sogar einen Stuhl an. Auf dem Schreibtisch Jiangs lag die mittlerweile juristisch geprüfte Protestnote gegen Trias in vierfacher Ausfertigung. Im Beisein von Lee Kong unterschrieb er das Dokument, das nur wenige Minuten später per Kurier und dann weiter mit dem Flugzeug nach Washington, Moskau und Berlin ausgeflogen werden würde. Der Brief machte nun offiziell, dass Peking von dem Billionenvertrag wusste und ihn vehement ablehnte.
Kong sah schweigend auf den Präsidenten. Er wusste, dass diese Protestnote ein Fehler war. Seiner Ansicht nach würden die jeweiligen Regierungen die Existenz eines solchen Vertrages leugnen und damit China vor aller Welt bloßstellen. Und ein paranoides Peking, das in dem Ruf stünde, überall Gefahr zu wittern, und nicht davor zurückschreckte, hanebüchene Vermutungen publik zu machen, taugte wohl kaum als ernst zu nehmender Geschäftspartner. Diese Meinung hatte Jiang anfangs ebenfalls überzeugt. Doch im Angesicht der Ereignisse der letzten Tage hatte sich seine Überzeugung verflüchtigt.
»Genosse General«, wandte sich Jiang direkt an Kong. Der sah schweigend zu ihm auf.
»Mittlerweile glaube ich, von Anfang an falsch beraten worden zu sein. Anstatt sofort in geheime Verhandlungen mit den jeweiligen Regierungen über Trias einzusteigen, bevorzugte das MSS die rabiate Variante. Vier Menschen sind bereits tot. Aber auch dies konnte Trias nicht aufhalten. Ich hoffe, dass unsere Protestnote dafür sorgt …«
Kong unterbrach den Ministerpräsidenten schroff. »Mit Verlaub, Genosse Ministerpräsident, ich glaube nicht, dass ein Stück Papier den Vertrag noch verhindert. Würden wir uns von Protestnoten beeindrucken lassen?«
Chinas mächtigster Mann sah seinen Geheimdienstchef regungslos an. An seinem Hals schwollen zwei Adern gleichzeitig an. Er wurde laut. »Nun, dann bin ich gespannt, welchen Vorschlag Sie noch präsentieren werden? Sollen wir etwa Washington, Moskau und Berlin bombardieren?«
Lee Kong kam der Wutausbruch des chinesischen Regierungschefs nur gelegen. Nach seiner Erfahrung waren es genau diese Gefühle, die zu heldenhaften Entscheidungen führten. Er selbst blieb weiterhin sehr ruhig.
»Nein, so weit würde ich nicht gehen«, sagte er fein lächelnd. »Aber wir haben ein Mittel der psychologischen Kriegsführung noch nicht ausgereizt.«
»Und das wäre?«, fragte sein Gegenüber immer noch erzürnt. Der chinesische Armeegeneral, der sich bis eben noch zurückgehalten hatte, rutschte auf seinem Bambusstuhl unruhig hin und her.
»Erpressung.«
Durch das überraschte Schweigen der beiden anderen Herren bekam das Wort in dem riesigen Raum einen nachhaltigen Klang.
»Ich stelle mir dabei Folgendes vor …«, begann Lee Kong, unterbrach aber sofort seinen Satz, als sich der Ministerpräsident erhob.
»Davon will ich nichts wissen«, sagte er abwehrend. »Ich lasse Sie jetzt allein.«
Chinas Staatsoberhaupt verließ mit würdevollem Gesicht den Raum.
19
Berlin, BKA-Hauptquartier, gleicher Tag, 09:30 Uhr
Markus Croy hatte sich nach dem Angriff der Delta Force gerade zwei Stunden Schlaf gegönnt. Er stolperte ins Bad, duschte sich schnell, entnahm seinem Rucksack ein frisches Hemd und frische Hosen und verließ das Hotelzimmer am Berliner Alexanderplatz. Er fuhr mit der Berliner Schnellbahn, stieg am Bahnhof Treptower Park aus und ging die wenigen Meter zu Fuß hinüber zu den Treptowers. Die größte deutsche Versicherung und die BKA-Abteilung für politisch motivierte Gewalttaten teilten sich eines der höchsten Gebäude Berlins.
Obwohl es ein Samstag war, herrschte auffällig viel Betrieb in der sensibelsten Behörde der deutschen Bundesregierung. Als er durch die Drehtür gegangen war, steuerte ein Mann auf ihn zu, der ihm bekannt vorkam. Er war hochgewachsen, schlank, Anfang sechzig und trug sein weißes Haar an den Ohren etwas länger, das Haupthaar sauber gescheitelt. Der Mann steckte in einer dunkelblauen Jeans, einem hellblauen Oberhemd und einem Jackett, dessen Stoff leicht changierte. Croy sah ihm ins Gesicht - und stutzte. Er kannte ihn irgendwoher. Die eisgrauen Augen des Mannes blickten ihn fragend an -
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