Trias
hatte ihn mit Zigarette in Erinnerung. Doch Kühl machte keine Anstalten, ein Päckchen aus der Tasche zu ziehen.
»Keine Zigarette zum Kaffee?«, fragte Croy.
»Schon lange nicht mehr«, wehrte Kühl ab. »Habe damit aufgehört, als ich fünfzig wurde. Das ist schon ein paar Jährchen her.«
»Glückwunsch«, sagte Croy. Er selbst hatte mit achtzehn Jahren seine ersten Zigaretten geraucht und es wieder gelassen. Sie hatten ihm einfach nicht geschmeckt.
»Wissen Sie eigentlich, warum Rumpf unterwegs nach Görlitz war?«, fragte Kühl.
Croy legte den Kopf schief. Der Mann sprang jetzt doch ungewohnt schnell zwischen den Themen hin und her.
»Er war zu einer Lagebesprechung im Bundespolizeipräsidium unterwegs. Es ging um Rumänen, die illegal über die Grenzen nach Deutschland kommen.«
Kühl wiegte den Kopf.
»Ich verrate Ihnen ja keine Dienstgeheimnisse, wenn ich von den Problemen rede, die wir mit unseren osteuropäischen Nachbarn haben.« Kühl formulierte langsam und akzentuiert. Croy erinnerte sich. Durch gezielte Zwischenfragen bekam man Nordlichter wie ihn schneller in Fahrt.
»Von welchen Problemen sprechen Sie? Schmuggeleien, Grenzverletzungen, Korruption?«
Kühl hob kurz die Arme. »Langsamer«, sagte er. »Gelegentlich sollten wir nicht vergessen, dass wir es bei den Osteuropäern von Polen über die Esten, Litauer, Tschechen, Ungarn bis hin zu den Sloweniern mit Völkern zu tun haben, die sich immer Richtung Westen orientiert haben. Allerdings sieht die Situation heute so aus: Wir haben ein ausgeprägtes Grundinteresse daran, dass unser bekanntermaßen sehr volatiler Arbeitsmarkt nicht von Schwarzarbeitern überschwemmt wird und auf der anderen Seite unsere Sicherheitsinteressen nicht durch unkontrollierte Nomadenbewegungen ausgehöhlt werden.«
So reden sie alle, dachte Croy. In Bildern, nie wirklich konkret. Aber an der Front, da, wo er kämpfte, war die Wirklichkeit konkret. Was hieß Sicherheitsinteressen ausgehöhlt ? Aber darauf würde ihm Kühl keine genaue Antwort geben. Sprachen Politiker nicht nur zwischen den Zeilen, sondern dachten sie vielleicht auch so? Wirkten vielleicht deshalb manche politischen Entscheidungen auf den ersten Blick so wirklichkeitsfremd?
»Was also wollte Rumpf wirklich in Görlitz?«, drängte Croy auf eine Antwort. »Gab es konkrete Hinweise auf Bedrohungen durch« - und jetzt gab Croy seiner Stimme einen ironischen Klang - »nomadisierende Slawen?«
Kühl, dem Croys Stimmfärbung nicht verborgen blieb, antwortete in sachlichem Ton. »Die neuen EU-Beitrittsländer haben nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Eine der wichtigsten ist, in ihren eigenen Ländern für demokratische Verhältnisse zu sorgen. Dazu gehört vor allem ein funktionierendes, überschaubares Rechtssystem, das ein rigides Durchgreifen gegen Schleuserbanden mit einschließt. Wir glauben, dass dies noch nicht in ausreichendem Maße geschieht. Man könnte auch sagen: Manche dieser Länder sind froh, wenn ihr Arbeitsmarkt durch Zugvögel entlastet wird, die dann zuerst in Deutschland ankommen, denn wir haben von allen westlichen EU-Staaten nicht nur die östlichste Grenze, sondern auch die größte Magnetwirkung. Aus diesem Grund wollte Rumpf nach Görlitz. Es war nicht nur sein rumänischer Amtskollege, der dort wartete. Es war auch sein Wille, ein Zeichen gegen die laxe Kontrollpraxis der EU-Neulinge zu setzen - zumindest was deren Verhinderung von Schleusungen angeht.«
Für Croy waren die Informationen, was die Ausländerpolitik der Bundesregierung anging, denkbar uninteressant. Sie hatten nichts mit seinem Fall zu tun. Rumpf war schlichtweg deshalb umgebracht worden, weil er einer der verantwortlichen Autoren von Trias war. Davon war er mittlerweile überzeugt. Doch wusste Kühl davon?
»Wie gut kennen Sie denn das Vorleben Rumpfs?«, fragte Croy so neutral es ihm möglich war.
Kühl sah ihn prüfend an.
»Rumpf war ein sehr guter Beamter«, holte der Bundespolizeichef aus. »Vor allem sein Engagement in der Fremdenpolitik des Außenamts war erstaunlich, aber manchmal schien er über das Ziel hinauszuschießen.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Croy, einen gewissen Unterton bei Kühl wahrnehmend.
»Er konnte sich bei diesem Thema schnell in Rage reden. Ich kenne interne Gesprächsprotokolle, in denen er Rumänen als geldgierige Zigeuner und Afrikaner und Türken als Rassenschänder an deutschen Frauen bezeichnete.«
Croy reagierte mit einer Mischung aus Empörung und
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