Trias
Frankfurter Skatclub war eine Absteige für Agenten. Sein Tarnname war Roses.
Als Lee Kong die Geheimdienstherberge betreten hatte, setzte er sich an den großen Tisch, nahm eine Zigarette aus dem Etui und atmete genüsslich den Rauch ein. Am anderen Ende des Raumes öffnete sich eine Tür, durch die eine ältliche Frau mit weißen, zu einem riesigen Dutt gedrehten Haaren kam. Sie trug eine Kittelschürze und brachte den Geruch von Kaffee und Zigarettenrauch mit. Die Frau stutzte kurz, als sie Kongs albernen Aufzug sah. Dann hielt sie ihm schweigend einen Zettel vor die Augen. Sie war stumm, das wusste er. Sie zeigte auf die Leiter. Kong antwortete ihr mit den Händen und stellte eine Frage. Sie wirbelte als Antwort flink Zeichen in die Luft. Dann verschwand sie wieder hinter der Tür.
Kong stellte die Leiter an, drückte auf einen im Deckenstuck eingelassenen Schalter. Mit einem leisen Surren öffnete sich die Klappe zur oberen Etage hin. Er steuerte direkt auf Zimmer Nummer 3 zu, warf sein schmales Gepäck in einen der Schränke und zog sich vorübergehend um.
Die nächsten Stunden verbrachte der Spionagechef unter dem Dach des Roses . Über einen im Telefon eingebauten Kryptonator baute er eine Verbindung zu seinem Agententross auf. Nach dem kurzen Gespräch sah er auf die Uhr. 14 Uhr 32. In einer halben Stunde würde das Telefon klingeln, hoffte er. Kongs deutsche Sprachkenntnisse waren zwar nur mäßig; doch für eine kurze Erklärung würde es reichen.
7
Berlin-Treptow, BKA-Hauptquartier, 14:39 Uhr
Croy fühlte sich, als stünde er vor einer leeren Wand. In einer knappen halben Stunde würde sein Chef Kaltenborn zwar von München aus den Erpresser kontaktieren; doch der laue Stand der Ermittlungen machte ihn nervös und unzufrieden. Unbeherrscht stieß er die Akten auf seinem Schreibtisch herum. Seine Hände waren schwer, heiß und fühlten sich geschwollen an. Mit einem Finger strich er über den Bildschirm seines Computers und betrachtete die Spur, die sich durch den Staub zog. Er sah auf den Schmutz auf seinem Finger und wischte ihn an der Hose ab. Dann sah er auf seine Hose, sah auf seine Uhr, sah auf nichts. Gedanklich suchte er das Bild Katjas. Er hatte seit einigen Tagen schon keinen Kontakt mehr zu ihr. Sie verschwamm langsam vor seinen Augen.
Er ging in die Waschräume, wusch Hände und Gesicht. Als er sich durchs Haar fuhr, entdeckte er immer neue Beweise seines fortschreitenden Alters. Seine Augen sahen aus, als brauchten sie Ruhe. Croy blickte auf die Uhr. 14 Uhr 56. Es war bereits ein langer Tag.
Durch die Wände des Waschraums hörte er aufgeregte Stimmen. Er eilte zurück.
»Wir wissen, wer der Erpresser ist!« Die Männer liefen aus dem Großraumbüro zusammen und sahen erwartungsvoll auf einen Videoschirm, der BKA-Vize Kaltenborn aufrecht und entschlossen auf einem Schreibtischstuhl zeigte. Der Ton war gut, das Bild ohne Flimmern. Croys noch eben müde Augen glänzten wieder frisch.
»Ich habe soeben die Telefonnummer angerufen, die uns der Erpresser schickte. Am Apparat war ein Mann, der ein holpriges Deutsch sprach. Die mithörenden Auswerter wollen einen fernöstlichen, vielleicht sogar chinesischen Slang herausgehört haben. Wie auch immer: Der Mann nannte endlich Ross und Reiter. Der Erpresser sei ein alter Bekannter von uns und rede im Namen einer uns ebenso längst bekannten Gruppe. Paul Graf von Sprock und das Netzwerk Weiße Ritter. Sein zweiter Satz lautete - und jetzt halten Sie sich alles, fest -, dass er bei Nichterfüllung des Ultimatums Senfgas einsetzen wolle …«
Kaltenborns letzte Worte schlugen ein wie eine Bombe. Sprachlos und bestürzt sahen sich die Ermittler an.
»Giftgas?«, fragte einer von ihnen wie gelähmt.
»Ja, Giftgas. « Kaltenborn beugte sich dicht vor das Objektiv der Kamera. »Wieder eine Irrengruppe mehr, die die Welt erpressen will. Gestern muslimischer Terror, heute Rechtsnationale. Und wer weiß, was uns übermorgen erwartet. Und ob es die Welt dann überlebt …«
»Niemand kennt den letzten Tag«, stürzte es aus Croy bitter und zum Bildschirm gewandt hervor.
Im Großraumbüro der BKA-Terrorabwehr war es plötzlich totenstill.
»Wissen wir, woher der Anruf kam?«, fragte Croy schließlich.
»Nein«, blinzelte Kaltenborn in die Kamera. »Der Mann legte blitzschnell wieder auf. Vermutlich hätte eine Fangschaltung nichts genutzt.«
Croy sammelte sich kurz und sagte dann mit druckvoller Stimme: »Wir werden diesen Mistkerl finden und ihn
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