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Trias

Titel: Trias Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Kayser
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gehen?«
    Storm sah aus dem Fenster auf die Wand des Hofes gegenüber. Eine schöne Wand aus gelbem Backstein, bewachsen mit grünem Efeu. Er legte lautlos seine Gabel ab, tupfte sich mit der Serviette über den Mund und sagte: »Er ist ein elender Nazi.«
    Lee Kongs Adamsapfel zuckte auf und nieder. »Nazis sind Menschen, die meinen, dass der Zweck die Mittel heiligt. Erzählen Sie mir mehr über ihn.«
    »Das ist aber eine längere Geschichte.«
    »Wir haben Zeit«, antwortete der General. Er bewunderte Menschen, die für ihre Überzeugungen die halbe Welt in Schutt und Asche legten. Er hielt sich zwar für einen überzeugten Kommunisten und war ein glühender Anhänger des chinesischen Gesellschaftsmodells; aber letztendlich, sagte er sich, war es egal, auf welcher Seite der Barrikade man stand. Wer an etwas Großes glaubte, musste so konsequent sein, für seine Überzeugungen andere und sich selbst zu opfern.
    Kong und Storm aßen schweigend zu Ende. Als die Bedienung nach den Tellern griff, fragte der General: »Einen Cynar zur Verdauung?«
    Storm war zwar erstaunt, stimmte aber zu. Ein Chinese, der Cynar trank? Er mochte dieses wunderbar bittere Getränk, das einen anständigen Schuss Zitrone und höchstens einen Fingerhut voller Wasser vertrug. Kong ist vom Westen versaut, dachte er ironisch.
    »Nun?«, fragte der General.
    »Der Mann, um den es sich handelt«, begann Storm, »ist mir von einem früheren Überläufer bekannt. Sein Name ist Piet Sydow, geboren in Hamburg. Ein ehemaliger Jungnazi einer militanten Wehrsportgruppe, der in den Achtzigerjahren vom Verfassungsschutz gesucht wurde. Als sich das Netz um ihn herum immer mehr zuzog, sah er nur noch einen Weg, einer drohenden Verhaftung zu entgehen: die Flucht in die DDR. Er schlüpfte unter das schützende Dach des Ministeriums für Staatssicherheit und erklärte sich bereit, unter einer neuen Identität als Stasi-Spitzel im europäischen Ausland unterzutauchen.«
    »Was für eine Biografie!«, warf Lee Kong ein.
    »Es kommt noch besser«, grinste Storm.
    »Nach eingehender Prüfung schickten ihn unsere Leute mit einer neuen Identität und operiertem Gesicht in den Westen zurück. Sein damaliger Führungsoffizier ist ein alter Freund von mir, Oberst Gerhartz. Nach der politischen Wende verdingte sich Sydow als Informant und V-Mann beim Bundesamt für Verfassungsschutz und durchdrang fortan die innerdeutsche rechtsradikale und neonazistische Szene. Mein alter Freund Gerhartz schöpfte Sydow vor kurzem noch einmal ab. Über ihn bekam ich den Zugang zum Chef der deutschen Sektion der Weißen Ritter - eben unserem Mann. »
    »Weiße Ritter?«, fragte Kong. »Ich hörte davon. Sie sind vor allem in Asien auf dem Vormarsch. Kreuzgefährlich.« Storm nickte. Der Cynar wurde gebracht.
    »Ein Ableger der Denkfabrik Spreads«, ergänzte Storm.
    »Oh«, kommentierte Kong knapp. Sie prosteten sich zu.
    »Seit Ende der Achtzigerjahre dehnen sie sich von den USA nach Europa aus. Mitglieder waren ausschließlich Kongressabgeordnete, Wirtschaftsmanager, Börsenmakler, Kulturschaffende und Geisteswissenschaftler mit weißer Hautfarbe. Hauptziele sind die ideologische Stärkung rechtskonservativer Regierungen, die Unterwanderung von Militär und Sicherheitsbehörden und der Kampf gegen angeblich unkontrollierte Völkerwanderungen aus Südosteuropa, Afrika, Asien und Lateinamerika in die USA und nach Westeuropa. Sydow hat meinem alten Freund Gerhartz sogar geflüstert, wo wir unseren Mann finden können.«
    »Wie heißt er?«, fragte Kong.
    »Paul Graf von Sprock. Schon mal von ihm gehört?«
    Kong verneinte. »Warum sollte dieser Mister Sprock nun mein Mann sein?«
    »Weil er vermutlich den russischen Präsidenten töten will.« Kong schluckte. Doch seine Augen verrieten Achtung.
    »Die Russen haben seit einiger Zeit ihre Archive über den Zweiten Weltkrieg für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht.«
    Storm schilderte ihm die Ereignisse, die auf Heydrichs Tod in Prag gefolgt waren, von den Massenhinrichtungen, dem Spezialauftrag an KGB-Leutnant Semjonow und dem Tod von Spreads Vater. Kongs schmale Augen sahen vor Neugier jetzt fast europäisch aus. »Und wie eng sind heute ihre Verbindungen?«, fragte er gespannt.
    »Sprock war ein sehr enger Freund Spreads, so, wie schon ihre Väter. Beide trieben Millionen Summen an Spenden ein, stärkten so die Weißen Ritter in ganz Europa, die jetzt sogar in einigen europäischen Kommunalparlamenten sitzen und mitregieren.

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