Trias
»was nun folgt, ist der normale Lauf der Dinge. Es wird ermittelt, analysiert, es werden Schlussfolgerungen gezogen. Sie haben in Ihrer langen Karriere gelernt, wie man Spuren so verwischt, dass weder Ihr noch unser Dienst ins Fadenkreuz geraten. Also Routine. Darüber hinaus müssen wir weiter groß denken …«
»Das ist ja klar«, warf Hess ein, aber der Mann sprach unbeirrt weiter.
»… das Baby darf nicht auf die Welt kommen. Das müssen wir mit allen Mitteln verhindern. Hören Sie? Mit allen Mitteln! «
»Wie meinen Sie das?«, fragte Hess angestrengt. Unter seinen fleischigen Achseln zeigte das Hemd bereits tellergroße Schweißflecken.
»Wir müssen sichergehen, dass mein Land wirtschaftlich nie wieder so in die Enge getrieben wird. Zur Abschreckung wird es auf Seiten der Politik weitere Opfer geben müssen. Das verstehen Sie doch, oder? In den nächsten Tagen wird sich ein alter Bekannter aus Marokko bei Ihnen melden. Von ihm erfahren Sie mehr. Und nun lege ich auf, Mister Hess. Einen schönen Abend noch.«
Das Lämpchen auf dem Telefon erlosch. Hess blickte noch einige Sekunden reglos auf den Tisch vor sich.
Ein alter Bekannter aus Marokko? Wer konnte gemeint sein? In Hess stieg ein enormes Druckgefühl auf, das ihm im nächsten Moment vollständig den Appetit nahm.
Er rief nach dem Wirt und bestellte das Menü wieder ab.
»Das ist aber sehr bedauerlich, Signore«, winselte der Italiener. Hess wuchtete sich aus der Ecke, griff nach Hut und Mantel und verließ grußlos das Lokal. Spagnolo sah ihm ratlos hinterher.
Dabei war der Chef des BND-Referats Organisierte Kriminalität und Internationaler Terrorismus Osteuropa zuvor noch so gut gelaunt gewesen wie seit Tagen nicht mehr. Zwar tat er für Außenstehende so, als quäle es ihn, dass er bei den Ermittlungen im Mordfall Rumpf vom Generalbundesanwalt übergangen worden war; aber so, wie es sich nun ergeben hatte, konnte er ungestört an den Fäden weiterspinnen.
Ein Fahrer brachte Hess in die Philippstraße nahe dem Berliner Invalidenfriedhof. Defekte Straßenlaternen hatten Überreste von verwitterten Hörsälen der medizinischen Fakultät der Humboldt-Universität in ein diffuses Dunkel geschickt.
In der ersten Etage eines fünfstöckigen Hauses entriegelte er eine Tür. Auf sie folgte, nach einem sehr knappen Zwischenraum, eine weitere Tür. Er drückte Daumen, Zeige- und Mittelfinger auf einen handtellergroßen Scanner und wartete. Die zweite Tür, ebenfalls mit einem Scanner versehen, blieb vor ihm verschlossen. Wieder identifizierte er sich und betrat schließlich einen etwa zwei Mal drei Meter großen Raum, in dem ein sargähnliches Gebilde auf zwei breiten Sockeln stand. Der Deckel hob sich. Mit leisem Surren fuhr eine Konsole heraus. In ihre metallene Oberfläche waren zwei Bildschirme mit Lautsprechern, zwei Computertastaturen, zwei winzige Kameralinsen und zwei mit feinen Gittern überspannte Mikrofone eingelassen. An den Seiten verliefen jeweils sechs übereinanderliegende Soft-Touch-Tasten.
Der Agent sagte seinen Namen, winzige LED-Lämpchen sprangen an, und das Betriebssystem mit Namen Sonic kam in Gang. Über das Menü gelangte er zum Button Call.
Er gab eine Nummer aus Zahlen, Buchstaben und Sonderzeichen ein. Das System verschlüsselte den Code aus 0 und 1er-Zahlen in rasanter Folge. Hess, der nun frei geschaltet war, tippte eine Telefonnummer ein, die vom Verschlüsselungsprogramm Wi-Fi Protected Access 4 in Sekundenbruchteilen zu einem Algorithmus umgebaut wurde. Ein Rufzeichen ertönte, auf das eine Zeit lang niemand reagierte. Unruhig scharrte er mit den Schuhen.
»Marlowe am Apparat«, tönte schließlich eine Stimme aus dem Hörer. Hans Strachow, Agent seiner Abteilung und enger Vertrauter, kannte jede Zeile der Romane über Chandlers unermüdlichen Ermittler mit dem Gemüt von heißer Lava.
»Okay, Marlowe, hier Nogard. Wo seid ihr?«
»Wir haben die Zielperson an Bord. Schüttelfahrt.«
»Gibt es Zecken?«
»Vielleicht die Konkurrenz. Nähern uns jetzt der Spedition.« Hess alias Nogard stellte sich vor, wie der graue Golf in diesem Augenblick die Berliner Stadtbezirksgrenze von Mitte nach Wedding passierte und in Kürze am Berliner Stadthafen ankommen würde. Hier hatte sich der Bundesnachrichtendienst in einem der Lagerhäuser eingenistet. An die Front des Gebäudes hatten behördeneigene Handwerker den Tarnnamen Spedition Blau gepinselt und unter die Dachrinnen unsichtbare Kameras angeschraubt.
»Wir
Weitere Kostenlose Bücher