Trias
Prager Flughafen verlassen, um einen BKA-Beamten abzufangen, der seinen Auftraggebern im Weg war. Zusätzlich dazu erschien ihm ein überstürzter Abgang aus Dresden als zu gefährlich; das Attentat lag zwar schon mehr als eine Woche zurück, doch waren die Straßen, Bahnhöfe und der Dresdner Flughafen voll von Männern in Zivil und Streifenbeamten, die nach dem Zufallsprinzip Ausweiskontrollen vornahmen. Rumpfs Tod machte die Beamten des Sächsischen Innenministeriums aktiv und weckte vollstreckerische Fantasien.
Spätestens um Mitternacht würden seine Kumpane hier wieder auftauchen. Er fragte sich, ob alles glatt gelaufen war. Einen BKA-Beamten an einem Vormittag zumindest krankenhausreif zu schlagen, war zwar als Auftrag an sich nicht schwierig; aber man wusste vorher nie, welche Zufälle einem den Plan vermiesten.
Hilperts Verbleiben in Dresden und seine falsche Einschätzung der Lage waren aber auch ein Resultat seines wechselvollen Lebens. An diesem Mittwochabend stand eine Flasche polnischer Wodka Wyborova vor ihm, aus der er sich mit kräftigen Schlucken bediente. Er ließ es geschehen, dass seine Gedanken in die Vergangenheit kippten. Er dachte an die Stationen seiner Agentenkarriere und wie es dazu kam, dass er eines der größten militärischen Geheimnisse der Amerikaner erst an die DDR und dann weiter an den KGB verraten konnte. Dass er sich nach Jahren im Gefängnis und einem Job im zivilen Leben nun selbst wieder aktiviert hatte, war nur eine Folge seiner Enttarnung, die er bis heute nicht verstand und verarbeitet hatte.
Hilperts Blick verschleierte allmählich, er spürte Gefühle der Dankbarkeit. Er sah liebevoll und angetrunken auf die Gegenstände der kleinen Wohnung, von der er glaubte, dass sie ihm ausreichend Schutz bot. Die Einrichtung war schlicht: ein Zimmer, ein fensterloses Bad, eine winzige Küche. Die Wände waren ohne Tapeten und weiß gekalkt; ein stabil gearbeitetes Doppelstockbett und eine Einzelliege, ein runder Tisch, drei Lederstühle und eine alte Kommode aus den Zwanzigerjahren waren das einzige Inventar. Die schmucklose Miniwohnung bot allerdings eine Raffinesse, die für ungebetene Gäste nicht auf den ersten Blick erkennbar war. In die niedrige, abgehangene Decke war eine Klappe eingelassen, durch die man zu einem lang gezogenen Stauraum von etwa einem Meter Höhe kam.
Dass er hier mit den anderen Mördern Rumpfs unterkommen konnte, verdankte er einem alten Bekannten, einem Ex-Major des MfS, der vor mehr als zwanzig Jahren sein Führungsoffizier gewesen war. Die Wohnung lag dicht an der Elbe, von wo aus man im Schatten der Nacht per Boot unbemerkt die Stadt verlassen konnte. Alle wichtigen Verkehrsverbindungen auf Straßen und Schienen waren zu Fuß schnell zu erreichen, und die für Besucher beinahe unsichtbare Klappe in der Decke eignete sich vorzüglich zur Tarnung auffälliger Gerätschaften. Hier hatten die Männer zur Vorbereitung des Attentats auf Rumpf ihre 45er Heckler & Koch Revolver, Munition, drei Tauchermesser, Elektromaterial wie Schnüre, Schalter und Lämpchen, einen teuren Laptop mit Steuerungsprogrammen, in Ölpapier sorgfältig verpackten und verschnürten Y3-Sprengstoff, Taschenlampen, Handschuhe, Mützen, Pflaster zum Abkleben von Schuhabsätzen, zwei starke Linsen und einen Laser mit dazugehörigen Batteriepaketen gelagert.
Durch die Fenster des Apartments sah Hilpert in das Dunkel dieses Spätherbstabends hinein. Er war zu einem elenden Trinker mutiert, der das Leben eines Staatssekretärs, seines Referenten und eines Chauffeurs nüchtern, intelligent und ohne Skrupel ausgelöscht hatte. Trotz seines Zustands trieb es ihn hinaus.
Er griff nach seinem Parka, zog sich eine schwarze Wollmütze über den Kopf, schnallte sich - eher unbewusst - ein Tauchermesser aus seiner Waffentasche um die Wade und erhoffte sich vor der Tür einen passenden Ausklang des Tages. Es hatte sich eingeregnet. Die Tallage Dresdens gab für Wasser von oben ein gutes Ziel ab.
Im Stadtteil Neustadt überquerte Hilpert, der Anführer von Rumpfs Attentätern, die Kamenzer Straße, lief weiter geradeaus zur Böhmischen Straße und betrat nach wenigen Metern das Lokal Pinotage, eine Weinstube mit fleckigem Holzmobiliar und einer Speisekarte, die ihren Namen nicht verdiente.
Die Uhr an der Wand des Lokals zeigte auf 21 Uhr 12. Im Berliner BKA-Präsidium wurde in diesem Moment die Fahndung nach Hilpert vorbereitet und in den Druck gegeben. Ihr Inhalt würde zusätzlich in Kürze
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