Trias
führt eine schlau ausgebaute Abkürzung in den etwa 100 Kilometer entfernten Kurort PiecČany. Das von Bergen umschlossene Kaff bietet ein Wellness-Zentrum von der Güte Karlsbads, hat aber gerade mal die Mondänität einer Garage in Monte Carlo.
Hier trifft man vor allem Menschen, die Gicht, Rheuma, Osteoporose oder sonstige kranke Knochen haben.
Vor beinahe vierzig Jahren hatte hier das DDR-Ministerium für Staatssicherheit ein Kurheim für erholungsbedürftige oder ausrangierte Agenten gebaut, eine Art Rückzugsgebiet, in dem es den unausgesprochenen Kodex gab, sich gegenseitig nicht zu behelligen. Hier hatte man sich in der Abgeschiedenheit der slowakischen Berge in trauter Eintracht Schattengeschichten erzählt und den Doktoren - ohne Angst vor einem überraschenden Tod - den eigenen Leib überantwortet.
Michael Storm war hier immer noch bekannt. Eine alte Verbindung hatte ihm ein Apartment gebucht, obwohl das Kurheim längst von einem privaten Investor aufgekauft und für jedermann umgebaut worden war. Storm, der an einem Hüftleiden litt, lag seit acht Uhr auf verschiedenen Massagebänken. Der Mittagstermin war von seinem behandelnden Arzt überraschend anberaumt worden. Eine neuartige Lehmbehandlung, hatte man ihm gesagt, sei besonders günstig für den Wärmeaustausch zwischen Gewebe und Knochen.
Während er von der Schwester mit der braunen Masse zugespachtelt wurde, freute er sich auf das Mittagsmenü - Wachtelbrüstchen und Chicoréesalat -, das er nun bald einnehmen würde.
Als ihm die Masseuse überraschend einen Zettel reichte, stand dort etwas, das ihn unangenehm zu elektrisieren schien. »Nirgendwo hat man seine Ruhe vor den Kollegen«, zischelte Storm und zerknüllte den Zettel, den er schnell in den Papierkorb neben der Behandlungsliege warf. Mit einem kräftigen Ruck richtete er sich auf, verscheuchte die Masseuse aus dem warmen Behandlungszimmer, stellte sich mit seinem lehmigen Körper ans Fenster und zog die Vorhänge zurück.
Auf der Straße vor dem Haus parkte mitten in einer ausladenden Pfütze ein Honda-Kombi älteren Baujahrs, in schmutzigem Weiß und mit am Heck verdunkelten Scheiben. Zwei Männer in Lederjacken und derben Jeans redeten aufeinander ein. Er wandte sich vom Fenster ab. Er kannte sie nicht. Sie interessierten ihn auch nicht. Männer dieses Aussehens gab es hier genug. Während er schnell duschte, dachte er darüber nach, welcher Grund wohl so wichtig wäre, dass zwei ehemalige Staatssicherheitsagenten die weite Reise von Berlin in die Slowakei auf sich nahmen.
Als er aus dem Bad trat, flog die Tür zum Behandlungsraum krachend auf. Die beiden Männer stürmten herein. Bevor Storm sich schützen konnte, rammte ihm einer von ihnen, ein besonders kräftig gebautes Exemplar, zur Begrüßung die Faust in die nackten Leisten. Storm japste kurz auf, erbrach sich röchelnd und kippte nach vorn aufs Gesicht. Mister Eisenfaust stierte auf den Abgang Storms.
»Das war dafür, dass Sie Ihren Arsch fürs BKA verkaufen«, zischte der Schläger in lupenreinem Deutsch. Er umklammerte den pensionierten Geheimdienstoffizier, hob ihn wieder auf die Füße. Dann schlug er erneut zu. Storm kippte lautlos zu Boden.
»Und das ist dafür, dass Sie uns niemals vergessen.« Eisenfaust lachte gehässig.
Sie verließen den Behandlungsraum, setzten sich in ihr Auto und fuhren gemächlich davon. Storm blieb in einer Lache Erbrochenem reglos auf dem Boden liegen.
Aus dem Auto meldeten die Männer Vollzug nach Berlin. BND-Agent Strachow war zufrieden. Storm würde zweimal nachdenken, bevor er weiter für Croy arbeitete.
Der ehemalige Stasi-Agent brauchte einige Zeit, bis er wieder vollständig zu sich kam. Dann führte er ein längeres Telefonat in englischer Sprache. Er dachte kurz darüber nach, ob er Kaltenborn oder Croy kontaktieren sollte. Es war noch zu früh dafür, entschied er. Er beschloss, noch am gleichen Tag abzureisen.
Die lahme Novembersonne warf lange Schatten auf das Städtchen PiecČany, in dem man für ein bisschen Geld eine wirklich fabelhafte Betreuung bekommen konnte.
22
Dresden-Neustadt, ein Apartment in der Louisenstraße, gleicher Tag, gegen 21:00 Uhr
»Bleibe niemals stehen, wenn du auf der Flucht bist. Und laufe niemals geradeaus.« Obwohl Franz Hilpert diese für einen Geheimdienstagenten lebenswichtigen Sätze kannte, richtete er sich nicht danach. Er erlag den Verlockungen weiteren Agentenlohns. Seine beiden Männer hatten am gestrigen Morgen Dresden mit Ziel
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