Trickser: Sammelband: Der Iril-Konflikt - Zwischen allen Fronten (German Edition)
eine sehr breite Straße, die nicht mehr abschüssig, sondern flach verlief. Fried sah nach vorne und lächelte humorlos. «Nein», sagte er und drehte Thoms Kopf so, dass er in die gleiche Richtung sah. «Das ist das Reich.»
Vor ihnen, aufragend wie ein mächtiges Wahrzeichen aus den Zeiten der alten Legenden, thronte das Gerichtsgebäude. Seine Basis war ein Quadrat, das sich nach oben hin verjüngte. Mit seinen zwölf Stockwerken war es das höchste Gebäude, und über allem ragte auf dem Flachdach die Speerspitze aus Jade majestätisch in den Himmel. Das Sonnenlicht fiel auf das mächtige Bauwerk und ließ die arrangierten Maserungen in goldenem Glanz erstrahlen. Es schien aus einem einzigen, gigantischen Baum geschnitzt; die Arbeit von genialen Zimmerleuten und Künstlern. Zu Füßen des Gerichs erstreckte sich ein großer Platz, der scheinbar aus einer einzigen, wunderschönen Marmorplatte bestand. Auf seiner Fläche, verloren in der Weitläufigkeit und winzig vor dem Achtung gebietenden Richtersitz, wirkten Menschen und Nichtmenschen klein und unbedeutend.
Sprachlos blickte Thom hinauf – zum Sinnbild der merdianischen Dominanz.
Fried konnte sich an diesem Anblick nicht recht ergötzen. Mit einem bitteren Gefühl beobachtete er diejenigen, die auf dem Weg ins Gericht waren. Früher hatte er einmal zu jenen Würdenträgern gehört, zu denen diese Leute pilgerten. Heute war er nur einer von ihnen; ein Bittsteller unter vielen.
***
Scyna DeVere ging an Bord der Leved zu einer Doppelkabine und betätigte den Türsummer. Als auch beim zweiten Klingeln niemand antwortete, überbrückte sie das Schloss mit ihrem persönlichen Code und trat in das große Zimmer. Es war vollgestopft mit genug elektronischem Spielzeug, um ein ganzes Holofilmstudio zu betreiben. Scyna hatte in ihrer Karriere als Schiffstechnikerin schon viele saumäßig verkabelte Anlagen gesehen, doch dieses Tohuwabohu gehörte zur absoluten Chaosklasse. Vorsichtig setzte Scyna ihre Schritte durch das Labyrinth aus übereinander gestellten Monitoren, Aufzeichnungsgeräten, Equalizern, Bildbearbeitungsrechnern, SimStim-Decks und Holografiekuben. Dioden blinkten und aus Lautsprechern knisterten Audiofragmente eine Kakophonie. Sie hatten ihm schon die größte Kabine gegeben, trotzdem war sie zum Bersten gefüllt.
«Xandreij?», rief Scyna. «Xandreij, wo bist du?»
Ein Nuscheln irgendwo zu ihrer Linken antwortete. Sie konnte also davon ausgehen, dass er noch lebte. Langsam bahnte sie sich einen Weg, hin zur Quelle des Geräusches.
Sie hatten den nostokischen SimStim-Künstler eine Tagesfahrt von hier aufgelesen. Kennengelernt hatten sie ihn während des Raubzugs, an dessen Ende sie die Besitzer der Leved wurden. Xandreijs Arbeit war ausschlaggebend für den Erfolg des Unternehmens gewesen. Auf Scynas Anfrage, ob er wieder mit ihnen arbeiten wolle, hatte Xandreij begeistert bejaht. Über Funk hatten sie ihm nichts von ihrem Plan gesagt, aber ihn gebeten, seine komplette Ausrüstung mitzubringen. Er hatte nur gelacht und war dann mit einem gecharterten Frachter am Treffpunkt erschienen.
Die Verhandlungen waren schnell über die Bühne gegangen. Scyna sagte ihm, was sie von ihm verlangten: Holografiesimulationen einer bestimmten Person, und Xandreij hatte gesagt, was er forderte: Braechts Gleiter-Limousine – ohne Materietransmitter – und bei dem Raubzug mitmischen. Blaine war von dieser Idee gar nicht angetan gewesen. Aber Xandreijs Antwort war gewesen: «Hey, das klingt total irre. Und ich bin irre. Passt doch klasse!» Da dies nicht zu widerlegen war, hatten sie seinen Bedingungen zugestimmt und seine Sachen hierher in die Flitterwochenkabine geschafft. Erst im Hyperraum hatten sie ihm Tischara vorgestellt, und ihm waren fast die Augen übergegangen.
Jetzt beugte sich Scyna über eine Batterie von Hologrammerzeugern und blickte hinab auf den Nostoker. Er gehörte zu einer Rasse von Katzenwesen, mit kurzer Schnauze und schwarzgrauem Fell. Seine Augen blickten unstet, so wie seine Aufmerksamkeit nur kurz auf einer Sache verweilen konnte. Er trug teure, aber nur mäßig gepflegte Kleidung: dunkle Stiefeletten und Hosen, dazu ein weit aufgeknöpftes dunkelgelbes Hemd.
Das Essen stand unbeachtet neben ihm, der Koff war kalt. Auf einem Pult lag eine kopfgroße Holokamera, die mit dem Hauptrechner verbunden war. Vor der Kamera standen zwei Perückenbüsten, an denen Masken aus künstlicher Haut hingen. Sie hatten die Gesichtszüge und
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