Tricontium (German Edition)
bereiterklärte, mit ins Haus zu kommen und seinen Spaziergang auf unbefristete Zeit zu unterbrechen.
»Vielleicht wird es nicht so lange dauern«, begann Ardeija mit falscher Zuversicht, als er seinem Vater den Umhang abnahm, »die meiste Zeit ist Oshelm eigentlich vernünftig. – Was hast du da?« Erst jetzt hatte er bemerkt, dass unter Theodulfs linkem Arm ein kleines Buch steckte. »Ich wusste nicht, dass du lesen kannst.«
»Kann ich auch nicht. Das ist nichts Geschriebenes.« Eine weitergehende Erklärung schien Theodulf nicht für nötig zu halten.
Ardeija sah zu, wie Gjuki sich unter den abgelegten Mänteln verkroch. »Trägst du das immer mit dir herum?«
»Nein, aber Asri muss in ihrer Neugier nicht alles finden.«
»Neugierig ist sie, aber sie durchsucht keine fremden Sachen.«
»Deine vielleicht nicht. Sie sagt, du kannst lesen?«
Ardeija konnte sich vorstellen, dass seine Mutter mit großem Stolz davon gesprochen und schamlos übertrieben hatte, aber Ehrlichkeit verdiente Ehrlichkeit. »Nicht gut genug, sagt Frau Herrad, und genau genommen sagt Wulfila das auch … Und die müssen es wissen.«
»Schade.« Vorsichtig beugte Theodulf sich zur Seite und ließ das Buch sacht neben sich auf die Bank gleiten, ohne zu verraten, welche Geheimnisse sich unter dem unscheinbaren Ledereinband verbargen.
Ardeija musste sich zwingen, das Büchlein nicht weiter anzustarren. »Warum schade?«
Theodulf zögerte merklich. »Ich hatte gedacht, du könntest es mir beibringen.«
»Oh«, sagte Ardeija geistreich und rieb sich die Nase. »Aber warum? Ich meine … Warum willst du es lernen?« Er blickte doch wieder zu dem Buch hinüber.
Theodulf übersah die stumme Frage. »Man braucht keine Hände dazu.«
Die Stille dauerte zu lange.
»Wir müssen abwarten«, sagte Ardeija am Ende und hätte gern bessere Worte gehabt. »Vielleicht heilen sie doch und alles sieht in ein paar Wochen weniger hoffnungslos aus als heute.«
»Heilen werden sie sicherlich, so gut sie können.« Theodulf betrachtete die Verbände. »Aber wohl nie mehr gut genug für ein Schwert. Vielleicht ja gut genug für dies hier.« Er nickte zu dem Buch hin. »Vielleicht auch nicht, und für den Fall muss ich doch Pläne machen.«
»Und was ist ›dies hier‹?«, fragte Ardeija, ohne fest mit einer Antwort zu rechnen.
Theodulf schwieg eine Weile. »Sieh es dir an«, sagte er schließlich, als habe es ihn einiges Nachdenken gekostet, sich zu dieser Erlaubnis zu durchzuringen.
Ardeija nahm das Buch und schlug es auf, bevor sein Vater es sich noch anders überlegen konnte.
Die ersten beiden Seiten waren leer; auf der dritten blühten Trollblume, Goldlack und Akelei, wie Ardeija sie schon einmal gesehen hatte. »Das sieht aus wie im Gewölbe auf dem Brandhorst. Hast du das gezeichnet?«
»An dem Tag muss ich mich wohl sehr gelangweilt haben«, sagte Theodulf. »Sonst hätte ich das bestimmt nicht abgezeichnet. Die Leute haben sich ohnehin schon gefragt, was ich dort unten wollte.«
Ardeija konnte sich lebhaft vorstellen, wie Asgrims Krieger die Köpfe zusammengesteckt und über den Schwertmeister getuschelt hatten, der nichts Besseres mit seiner Zeit anzufangen wusste, als sich freiwillig ins Verlies seines Herrn zu setzen und die verblassten Umrisse auf dem Schlussstein in klaren Linien auf ein Blatt zu übertragen, in dessen Ecken Greifen Wache hielten, die denen auf Asgrims Tür verdächtig ähnelten. Für die Bilder, die ohne erkennbare Ordnung folgten, schien es keine Vorlagen gegeben zu haben: Schwanenjungfrauen ritten auf Wölfen und überlange Trollschwänze wanden sich um Bäume, deren Kronen miteinander verflochten waren. Auf einer sehr fleckigen Seite waren kämpfende Wisente zwischen Ranken in einem eigenartigen Bogen angeordnet.
»Das war ein Entwurf für die Verzierungen an einem Helm«, erklärte Theodulf ungefragt.
Ardeija sah auf. »Hat ihn dann auch jemand geschmiedet?«
»Ja; er hat ihn etwas verdorben, weil er die Ranken zu groß gemacht hat. Es war aber trotzdem ein schöner Helm.«
»Deiner?«
Theodulf nickte. »Manche Bilder sind alt, manche neu«, fuhr er fort, als Ardeija umblätterte. »Asgrims Schreiber hat sie einmal gesehen und meinte, es wäre gut, sie zusammenbinden zu lassen, mit ein paar leeren Seiten. Ich fand den Einfall erst albern, aber eigentlich …« Er ließ den Satz unbeendet, als dürfe er nicht aussprechen, dass ihm der Vorschlag des Schreibers sicherlich geschmeichelt hatte, oder auch
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