Tricontium (German Edition)
Euch täusche. Warum sollte Asgrims Gefolge es anders halten?«
Darauf hatte Ardeija keine Antwort. Es machte die Sache nicht besser, dass die Art, wie Herrad sich nun wieder hinsetzte und ihre Teeschale, deren Inhalt längst kalt geworden sein musste, hob, etwas sehr Endgültiges hatte.
»Aber ich kann doch nicht einfach tatenlos zusehen«, sagte er schließlich und verabscheute sich dafür, dass er eher verloren als entschlossen klang.
Die Richterin sah auf. »Nein. Aber Ihr könnt den Mund halten und mich nachdenken lassen. Es muss auch gehen, ohne dass Ihr solchen Unsinn anstellt wie vorhin mit Justa und ohne dass Ihr einen so wertvollen Helfer wie Otter auf Tage mit einer fruchtlosen Aufgabe bindet.« Sie wollte trinken und setzte die Schale doch unverrichteter Dinge wieder ab; es war kein Tee mehr darin. »Nun seht Euch das an … Der gute Laetus wird auch immer frecher.«
Als wolle der Geist ihre vorwurfsvollen Worte noch bestätigen, begannen sich just in diesem Augenblick die Seiten der Leges et constitutiones wie von unsichtbarer Hand umgeblättert zu bewegen.
Ardeija wagte nicht, sich zu rühren. »Kommt das häufiger vor?«, fragte er mit gesenkter Stimme, als das Gespenst keine Neigung zeigte, seine Beschäftigung mit den königlichen Gesetzen rasch wieder zu beenden.
»Nein«, sagte Herrad, ohne sonderlich beunruhigt über den Spuk auf ihrem Schreibtisch zu klingen. »Gewöhnlich sieht er nur Akten durch, die ihn neugierig machen, und manchmal hat er etwas zu Gesprächen beizusteuern … Aber nur sehr leise.«
»Ihr meint, er versteht uns, auch wenn wir kein Latein sprechen?«
»Natürlich. Ihr seid doch ein sprachbegabter Geist, nicht wahr, Laetus?«
Das leise Lachen, das zur Antwort aus Richtung der Leges ertönte, jagte Ardeija einen Schauer über den Rücken, aber er zwang sich, ruhig zu atmen und daran zu denken, dass auch Fürst Gudhelm und andere ehrbare Leute als Gespenster umgingen und Frau Herrads Römer nicht notwendigerweise gefährlich sein musste. In Acht nehmen musste man sich wohl dennoch vor ihm, denn kaum, dass er endlich beschlossen zu haben schien, das Buch in Frieden zu lassen, hob sich das Federmesser der Richterin, um eine winzige Markierung in den Rand des Pergaments der aufgeschlagenen Seite zu ritzen. Die geflüsterte lateinische Bemerkung, die diesen Frevel begleitete, musste wohl eine überzeugende Erklärung dafür enthalten, denn Herrad wirkte nicht erzürnt, sondern schien aufmerksam zu lauschen; als am Ende das Messer wieder ruhig auf dem Tisch lag, warf sie einen langen Blick in das Buch und sagte dann mit einem Nicken: »Danke!«
»Was hat er gesagt?«, erkundigte Ardeija sich verwirrt.
» Quid non mortalia pectora cogis, auri utilis fames «, wiederholte Herrad wenig hilfreich. »Abgesehen davon, dass er sich schämen sollte, Vergil so zu verunstalten, ist das, was er damit vorschlägt, aber gar nicht dumm. Seht einmal her!«
Sie deutete auf den Gesetzestext und setzte ein wenig verspätet, als ihr wohl einfiel, dass Ardeija auch mit geschriebenen lateinischen Worten wenig anfangen konnte, hinzu: »Es wird hier alles für den Fall abgehandelt, dass Ankläger und Richter dieselbe Person sind.«
»Darf das denn sein?«, fragte Ardeija.
»Eigentlich nicht«, entgegnete Herrad. »Gewöhnlich ist man gehalten, sich an den übergeordneten Richter zu wenden, wenn man selbst eine Klage vorzubringen hat, aber die Überschneidung kann vorkommen, wenn der fragliche Richter zugleich ein Fürst oder ein kleinerer Herr ist, der nur noch den König über sich hat, den er schwerlich bemühen kann, wenn ihm irgendjemand die Silberlöffel aus der Truhe entwendet oder ein paar Schafe weggetrieben hat. Asgrim ist in dieser Sache also Kläger und Richter zugleich, da die liebe Justa es ja tunlichst vermieden hat, ihm anzubieten, als Stellvertreterin des Königs über seinen untreuen Schwertmeister zu richten. Jedenfalls wird hier in den Leges « – sie legte den Finger auf den kleinen Schnitt im Seitenrand – »der Kläger daran erinnert, dass niemand gezwungen ist, gerichtlich Klage zu führen, wenn er sich lieber ohne einen Richter mit dem Täter einigen möchte, so dass es in seinem Ermessen steht, ob er tatsächlich richten will oder es vorzieht, nur Verhandlungen etwa über eine angemessene Entschädigung zu führen. Das kann Vorteile haben.«
»Für den armen Kerl, der zugleich vor Ankläger und Richter steht, gewiss«, räumte Ardeija ein, »nicht aber für den
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