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Tricontium (German Edition)

Tricontium (German Edition)

Titel: Tricontium (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Claußnitzer
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sichtbar geworden.
    Herrad hatte Wulfin angesehen, den sein Vater vor sich im Sattel gehalten hatte. Der Junge war zu beschäftigt damit gewesen, über irgendetwas, das Wulfila ihm erzählt hatte, zu lachen, um den Vorfall zu bemerken. Der Gedanke, dass es mit ihm irgendwann wohl auch so weit kommen würde wie mit dem restlos verlorenen Lumpen, dem sie eben begegnet waren, hatte Herrad geschmerzt. Genau genommen hatte ihr auch die Vorstellung nicht behagt, dass es auch seinem Vater und seinem Großvater so ergehen könnte, wenn der Winter lang und hart wurde und sie nur genug Unglück hatten, doch es war leichter gewesen, zuzugeben, dass sie mit einem kleinen Jungen Mitleid hatte und ihm Gutes wünschte, als sich einzugestehen, dass sie Leute, die es eigentlich nicht verdient hatten, wohlversorgt wissen wollte.
    »Kommt morgen früh wieder«, hatte sie also später gesagt, als ihre Truhen und Möbel nach ihrem Ausflug nach Tricontium abgeladen und wieder in das Haus, in das sie gehörten, zurückgebracht worden waren, »dann können wir über den Vorschlag, den Herr Wulfila mir unterbreitet hat, reden.«
    Über den langen Abend hatte sie die Verabredung allerdings fast vergessen. Erst hatte sie sich auf der Burg sagen lassen müssen, Vogt Geta sei mit einigen Getreuen zur Jagd geritten und werde frühestens morgen zurückerwartet. Als sie nach Hause gekommen war, hatte dort noch immer die Unordnung geherrscht, die sie zurückgelassen hatte, da ihre Magd im »Grünen Keiler« hängen geblieben war, statt dort nur wie besprochen etwas zum Abendessen zu holen.
    Wie zum Ausgleich für die Abwesenheit der säumigen Bediensteten hatten sich in den Hütten längs des Stalls, die den meisten ihrer Krieger als Unterkunft dienten, mehr Leute aufgehalten als erwartet. In der Bleibe Adelas und ihrer kleinen Familie hatte einer der in Tricontium abhandengekommenen Krieger gesessen, Adelas Töchterchen auf den Knien geschaukelt und sehr verlegen dreingesehen, als Herrad den Kopf durch die Tür gesteckt hatte.
    »Sieh an, Medardus, was treibt Ihr noch hier?«
    Der junge Mann, der wohl darauf gehofft hatte, am Morgen ein besser vorbereitetes Gespräch mit ihr führen zu können, war ihrem Blick ausgewichen. »Ich weiß, dass ich in Tricontium schön dumm war, Frau Herrad, aber ich dachte … Ich dachte, da ich es so bereue und Ihr doch jetzt zurück seid und zu wenige Krieger habt, braucht Ihr vielleicht noch einen. Ich würde auch alles wiedergutmachen und …«
    Herrad hatte ihn nicht ausreden lassen. »Erst verliert Ihr mir Herrn Theodulf aus den Augen, dann lauft Ihr vor einem Gespenst davon, das es nicht gibt, und schließlich kommt Ihr wieder angekrochen und wollt zurück in meine Dienste?«
    Medardus hatte immer noch nicht aufgesehen. »Ich habe es nicht verdient, das ist wahr.«
    Herrad hatte geschwiegen.
    Da hatte sich Adela eingemischt. »Er hat eine Dummheit begangen, Frau Herrad, aber das sieht er selbst ein, und Ihr wisst, wie es geht, wenn man vor Dingen Angst hat, gegen die ein Schwert nicht hilft, oder vielleicht wisst Ihr es auch nicht. Aber Ihr versteht es doch, nicht wahr?«
    Herrad hatte sich an die Begegnung mit Malegis in der Krypta zurückerinnert und dann darüber nachgedacht, ob es wohl gerecht gewesen wäre, einen reuigen Krieger, der sich sonst nichts hatte zuschulden kommen lassen, für einen Augenblick der Feigheit davonzujagen, obwohl sie bereit war, verurteilten Dieben einen Neubeginn zu gestatten. Das war das Schlimme, wenn man einmal solchen Regungen nachgab – eine falsche Entscheidung zog andere nach sich.
    »Eines solltet Ihr wissen, Medardus«, hatte sie schließlich verkündet. »Wenn Ihr mich in Zukunft auch nur einmal im Stich lasst, werdet Ihr es so bereuen, dass Ihr Euch wünschen werdet, mich nie gekannt zu haben.«
    Medardus hatte die Kleine an ihren Vater weitergereicht und einen innigen Kuss auf den schmutzstarrenden Saum des Kaftans seiner Herrin gedrückt; Herrad hatte sich nur seufzend abgewandt und war gegangen.
    Adelas Mann hatte daraufhin wohl das Mitleid mit der geplagten Richterin gepackt, denn kurz darauf hatte er ihr einen Tontopf mit den Resten des bescheidenen Mahls seiner Familie ins Haus gebracht. Herrad hatte der Höflichkeit halber ein paar Bissen gegessen und sehr gelobt, um dann, sobald er wieder fort gewesen war, in Odilos Badehaus zu flüchten und dort schließlich in dem warmen, nach Thymian und Rosmarin duftenden Wasser, nach dem sie sich auf der Reise so gesehnt

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