Tricontium (German Edition)
lebt diese Seidenstickerin?«, fragte er, als wüsste er es selbst nicht gut genug, und hoffte inständig, dass Wulfin den Mund halten würde. Sein Sohn enttäuschte ihn nicht, doch Asgrim verstand sich auch ohne fremde Hilfe vorzüglich darauf, für neue Schwierigkeiten zu sorgen.
»Das ist schwer zu beschreiben«, erwiderte er nämlich, »aber Ansgar hier kann dich hinführen. Bei der Gelegenheit kannst du ihm dann auch gleich seinen Speer zurückgeben.«
Es trat ausgerechnet der Mann mit den Dolchen vor, und seine mangelnde Begeisterung darüber, mit solch einer Aufgabe betraut zu werden, war ihm deutlich anzumerken.
Asgrim übersah die unwillige Miene seines Kriegers. »Die Frau heißt Asri, sie ist eine Barsakhanin, die hier hängen geblieben ist. Der Mann, der mit dir gefangen war, ist ihr Sohn. – Könnt ihr nun aufbrechen, oder hast du vor, noch auf weiteren Grabsteinen auf Drachenjagd zu gehen?«
Es hätte keinen Sinn gehabt, von der so freundlich angebotenen Ausrede tatsächlich Gebrauch zu machen. Vermutlich hätte Asgrim Ansgar in dem Fall nur angewiesen, zu warten, bis die Drachensuche beendet war, und damit wäre nichts gewonnen gewesen.
»Wir können gehen«, sagte Wulfila daher so gleichgültig, wie er nur konnte, und fügte ebenso harmlos an Wulfin gewandt hinzu: »Ruf noch einmal nach Gjuki, so laut du kannst! Wenn er darauf nicht hört, können wir nur hoffen, dass er uns auch später finden wird.«
Wulfin tat wie geheißen. Sein Vater rechnete nicht ernsthaft damit, dass irgendetwas Gjuki aus Ardeijas sicherem Hemd hervorlocken würde, so lange der Regen anhielt, doch »so laut du kannst« konnte bei Wulfin, wenn man ihn denn gewähren ließ, »sehr laut« heißen, vielleicht laut genug, um noch drüben, wo Otachars Gold versteckt lag, gehört zu werden. Wulf würde sich denken können, dass etwas nicht zum Besten stand, wenn sein Enkel scheinbar grundlos nach dem kleinen Drachen schrie. Eine hinreichende Warnung vor den Männern vom Brandhorst war das nicht, doch es musste als Mahnung zur Vorsicht genügen.
Ansgar nahm schweigend den Speer wieder an sich und warf einen höchst missbilligenden Blick auf Wulfin, wohl weniger, weil ihm der wahre Zweck der Rufe bewusst gewesen wäre, als weil er sich darüber ärgerte, dass zu dem Dieb, den er zu Asris Haus bringen sollte, auch noch ein Kind, das gerade alles andere als still war, gehörte.
»Dann komm!«, sagte er kurz angebunden an Wulfila gewandt und ging mit langen Schritten voraus, ohne sich darum zu kümmern, ob Vater und Sohn ihm tatsächlich folgten.
Ansgar sah sich auch auf dem weiteren Weg zurück in die Stadt nicht um, nicht einmal, als ein grüner Schatten aus dem Schutz der Steine zu Wulfila herübergehuscht kam und sein Bein emporzuklettern versuchte. Er bekam Gjuki gerade noch zu fassen, bevor der kleine Drache sich, nass und nicht eben sauber, in seiner Kleidung vergraben konnte. Während er vorsichtig Tatze um Tatze reinigte und am Ende einen leidlich abgetrockneten Gjuki, der es ihm mit einem zufriedenen Zirpen dankte, unter seinen Mantel schob, hielt er unauffällig nach Anzeichen dafür Ausschau, dass der Drache sich nicht allein davongestohlen hatte. Aber wenn Wulfins Rufe einen menschlichen Beobachter angelockt hatten, war dieser klug genug, vorerst im Verborgenen zu bleiben.
Weit unerklärlicher war es, dass von Herrads Kriegern, die längst überfällig waren, weder auf der Straße durch die Nekropole noch später in der mittlerweile belebteren Umgebung des Stadttors etwas zu sehen war. Er konnte nur hoffen, dass ihre Anwesenheit nicht so nötig sein würde, wie die Richterin vermutet hatte.
Von der Straße der Silberschmiede an nahm Ansgar einen anderen Weg als den, auf dem Herrad und ihre Begleiter gekommen waren, und sie trafen am Ende nicht vor Asris Werkstatt ein, sondern nahe bei der Rückseite des zweiten Gebäudes, das als Wohnhaus diente. Hier gab es eine Hintertür, daneben ein kleines Stück umzäunten Grundes mit einigen Obstbäumen, das wohl ebenfalls Asri gehörte.
Der Mann vom Brandhorst war nicht dumm; statt stehen zu bleiben und auffällig auf das Haus zu weisen, nickte er nur leicht und sagte mit gesenkter Stimme: »Hier ist es; komm weiter und sieh nicht lange hin.«
Wulfila wäre der Aufforderung nachgekommen, hätte Gjuki nicht ganz genau gewusst, dass er nun fast zu Hause war, und die Gelegenheit genutzt, sein trockenes Versteck wieder zu verlassen, um schnell wie ein Blitz zum Haus
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