Trinity (German Edition)
die den Reaktorbau umgab.
Dann stellte er fest, dass kein Dampf mehr aus den Schornsteinen quoll. Einen Augenblick lang war er verblüfft; er wusste, dass der Meiler erst in ein paar Tagen abgebaut werden sollte, um die bestrahlten Uranstäbe herauszuholen. Als er dann den dichter werdenden schwarzen Rauch sah, der an den Wänden und dem Dach entlangkroch, geriet er in Panik.
Er hatte sich gerade umgedreht, als einer der Wachmänner an seine Tür klopfte. Ohne auf seine Antwort zu warten, platzte der Mann in das kleine Büro und schrie: »Dr. Diebner! Sie müssen sofort zum Reaktorbau kommen!«
»Ich sehe es. Was ist passiert?«
»Ein Feuer! Wir können es durch die Wände hören, aber die Gefangenen haben die Tür verrammelt. Wir wissen nicht, was sie getan haben.«
Ein Feuer im Reaktor, dachte Diebner. Heiß genug, um das Graphit brennen zu lassen. Im Inneren des Gebäudes musste bereits ein Inferno ausgebrochen sein. Er konnte schwarzen Rauch aus den Schloten quellen sehen, durch Ritzen in der Decke, durch die Fugen der großen Tore.
Der Reaktor war am Schmelzen, der Kern brannte. Er spürte einen eisigen Kloß in der Magengrube. Er allein wusste, was das bedeutete.
»Dr. Diebner, Sie müssen kommen! Sagen Sie uns, was wir machen sollen.«
Aber Diebner bewegte sich nicht. Seine Hände umkrampften die Kante seiner Schreibtischplatte, die Knöchel traten ihm weiß hervor. »Das kann man nicht in Ordnung bringen. Das ist eine Katastrophe!«
Die Uranstäbe würden in dem Feuer schmelzen. All das Graphit würde zu einer einzigen schwarzen Masse zusammensinken, alles verseuchen und alles radioaktiv verstrahlen! Sie hatten das Reaktorgebäude in solcher Eile errichtet, dass sie keinerlei Schutzvorrichtungen eingebaut hatten, nichts, um all die tödlichen Nebenprodukte zu sichern, sie daran zu hindern, in die Luft zu sprühen, wenn es zu einer solchen Katastrophe kam. Der Rauch, der jetzt in den Himmel quoll, würde giftig sein, würde ebenso den Tod verbreiten, wie die kleinen Raketen radioaktiven Staub über New York City verbreitet hatten.
»Meinen Wagen. Sofort! Ich muss in zwei Minuten weg! Sie müssen Ihre Männer evakuieren. Alle.«
»Evakuieren? Aber was ist mit den Gefangenen?«
»Gehen Sie! Jetzt sofort!« Diebner schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte. »Wegen der Gefangenen brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.« Seine Stimme wurde leiser. »Die sind bereits tot.«
Schließlich rannte der Wachmann hinaus. Diebner folgte ihm. Er sah sich um, ob er irgendetwas mitnehmen sollte. Er hatte nur einen Augenblick Zeit – wenn es nicht schon zu spät war. Aber dann wurde ihm bewusst, dass es hier nichts gab, was er behalten wollte.
Er rannte nach draußen. Gefangene sammelten sich vor dem Reaktorgebäude, starrten auf das Schauspiel, das sich ihnen bot. Jetzt leckten die Flammen am Dach, fanden ihren Weg durch Ritzen und Spalten. Wachsoldaten rannten herum, einige bemüht, das Feuer einzudämmen, andere nur auf Flucht bedacht.
Diebner wartete auf seinen Wagen, wartete und wartete. Er sah sich um, suchte nach einem anderen Fluchtweg. Er wollte hier weg, wollte den unsichtbaren Tod weit hinter sich lassen. Er wusste nicht, ob er die Luft anhalten, den Kopf einziehen oder sich die Hand über den Mund halten sollte. Aber vor der Strahlung konnte er sich nicht verstecken.
Schwarzer Rauch stieg aus dem Feuer, kräuselte sich und legte sich wie eine Decke über das Lager.
Diebners Hände zitterten. Das ist der wahre Holocaust, dachte er.
Er fragte sich, wo sein Wagen so lange blieb.
Teil V
21
Trinity-Versuchsstätte
November 1944
»Diejenigen, die die Entwicklung dieser schrecklichen Waffe verursacht haben, und jene, die einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet haben, haben die Pflicht vor Gott und der Welt, jetzt dafür zu sorgen, dass sie zum richtigen Zeitpunkt und in der richtigen Weise eingesetzt wird.«
— Leo Szilard
Die Fahrt von Los Alamos in dem nicht gekennzeichneten Dienstwagen dauerte drei Stunden, und Fox schwitzte die ganze Zeit in der Herbstsonne, während sie von Staubschwaden eingehüllt nach Süden rollten. Die zwei Militärpolizisten zuckten mit keiner Wimper, als der Wagen, ohne langsamer zu werden, die Stadtgrenze von Albuquerque überquerte. Falls ein Verkehrspolizist sie aufhielt, würde Fox seinen nicht abgestempelten und auch nicht unterschriebenen Führerschein vorzeigen müssen; er durfte weder seinen Namen noch den Zweck der Reise verraten.
Weitere Kostenlose Bücher