Trinity (German Edition)
und würzig, der Wind fühlte sich trocken an. Seine Lippen und seine Hände hatten sich, kaum dass er den Zug im Bahnhof von Santa Fe verlassen hatte, bereits zu schälen begonnen.
Dieser Ort schien auf einen völlig anderen Planeten zu gehören als das ehrwürdige, zivilisierte Cambridge in England. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn im nächsten Augenblick eine Schar wilder Indianer im Galopp über die Mesas herangestürmt wäre. Aber war eine Grenzstadt voller Kernphysiker eigentlich weniger bizarr?
Fox versuchte, von dem Brief loszukommen, der in seiner Tasche steckte, und konzentrierte sich stattdessen auf die Berge in der Ferne. In England hatte er nie weiter als bis zum nächsten Wäldchen sehen können. Die Hügel dort waren weich und wellig gewesen, üppig und grün. Im Kontrast dazu gab es in New Mexico unbeschränkte Sicht, so schroff und sauber, dass es in den Augen schmerzte.
Aber J. Robert Oppenheimer hatte keinen besseren Ort gefunden, um dort eine neue Stadt zu gründen, deren erklärtes Ziel darin bestand, sich der größten Herausforderung zu stellen, die die Naturwissenschaft zu bieten hatte. Aus seiner Sicherheitsunterweisung wusste Fox, dass das Kriegsministerium die auf dem Gelände befindliche Knabenschule unter strengsten Geheimhaltungsauflagen gekauft hatte. Anschließend hatte man den Lehrer und seine kleine Schar von Schülern ohne irgendeine Erklärung in einen Bus verfrachtet und weggeschickt und praktisch über Nacht Los Alamos aus dem Boden gestampft. Sozusagen mitten im Wilden Westen, in der Mitte der legendären weiten offenen Flächen Amerikas.
Vielleicht war das der wirkliche Grund, weshalb Oppenheimer sich dafür entschieden hatte, das Projekt hier unterzubringen. Nicht so sehr wegen der Abgeschiedenheit – nach allem, was Fox gehört hatte, hätten sich in dieser Hinsicht West Virginia oder China Lake in Kalifornien ebenso gut geeignet –, sondern weil ein anderer Ort die Wissenschaftler vielleicht zu sehr unter Druck gesetzt hätte, sie in traditionelle Denkweisen gedrängt hätte. Nein, der endlos weite Blick hatte die psychologische Wirkung, die Wissenschaftler unbeengt operieren zu lassen und dies mit gewaltigen Ideen, die am Ende zur Zerstörung der Welt führen konnten. Und Fox war dazu ausgewählt worden, ihnen seine Talente zur Verfügung zu stellen, ob ihm das nun passte oder nicht. Fox' Hand griff in seine Innentasche und berührte den Brief, der dort steckte. Das Papier fühlte sich dünn und schlicht an, aber die Sätze darauf waren gefährlich. Die bloße Tatsache, dass er den Brief aus dem eingezäunten Areal heraustrug, widersprach schon sämtlichen Anweisungen, die ihm G-2, die Leute vom Nachrichtendienst der Armee, in der letzten Woche eingetrichtert hatten. »Jegliche Korrespondenz ist der Sicherheitsabteilung im unverschlossenen Umschlag vorzulegen. Zuwiderhandlungen stellen einen direkten Verstoß gegen die Spionageakte dar.«
Spionageakte! Die ganze Situation kam ihm so albern vor, so absurd, dass Fox sich zwischen Verfolgungswahn und Gelächter hin- und hergerissen fühlte. Wie konnten sie Zweifel an einer Beziehung äußern, die schon fünfzehn Jahre andauerte, einer Beziehung, die begonnen hatte, lang bevor Reichskanzler Hitler sein Wüten in Europa begonnen hatte?
Fox war in Cambridge, als er dort an seiner Doktorarbeit gearbeitet hatte, mit einigen ausländischen Studenten in Verbindung gekommen. Schließlich war sein Lehrer Rutherford ein weltberühmter Physiker, und allein die Tatsache, dass Graham Fox unter ihm studiert hatte, war schon die Gewähr für eine künftige Karriere. Gewöhnliche Studenten konnten von so etwas nur träumen.
Fox hatte sich schnell mit Abraham Esau angefreundet, einem jungen deutschen Studenten. Sie hatten zusammen im Studentenwohnheim gewohnt und eine gemeinsame Toilette auf dem Flur gehabt; sie hatten gemeinsam die typischen Studentenstreiche verübt, bis der Bootsunfall sie ernüchtert hatte, der auf Esaus Lippe eine Narbe hinterlassen hatte. Später hatte Esau, obwohl er inzwischen in zunehmendem Maße Verantwortung in der nationalsozialistischen Partei übernommen hatte, Fox die Gelegenheit verschafft, in Göttingen unter Sommerfeld selbst zu arbeiten.
Nachdem Fox dort seine Studien abgeschlossen hatte, hatten die zwei Freunde jahrelang miteinander korrespondiert und die jeweils neuesten Ergebnisse ihrer Arbeit ausgetauscht. Diracs relativistische Feldtheorie hatte sie beide in hohem Maße beeindruckt, die
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