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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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hatte er denken wollen. Aber war er denn wegen des Geldes nach Conoêl gekommen? Hatten ihn nicht vielmehr die Schilderungen Ruals überzeugt, dass er einem ganz besonderen Menschen begegnen würde, den zu erziehen und zu bilden man nur ein einziges Mal in seinem Leben zur Aufgabe bekäme? Sofort hatte er Rual, als sie im Speisesaal des kleinen Benediktinerklosters bei Clineau saßen, davon vorgeschwärmt, wohin er mit Tristan reisen würde, um ihm zu zeigen, wie groß die Welt sei und wie viel man in ihr lernen und erfahren könne.
    »Wir werden auch nach Rom pilgern!«, hatte er Rual gesagt, und der hatte wie selbstverständlich genickt.
    »Ist Euch klar, dass wir dafür eine Menge Geld brauchen werden?«
    »Ihr bekommt, was ihr benötigt.«
    Das war die einfache Antwort Ruals. Sie kam so direkt und versprach so viel, dass Courvenal misstrauisch wurde. Doch er zeigte seinen Zweifel nicht und sagte wie beiläufig: »Ihr habt noch, erwähntet Ihr vorhin, zwei andere Söhne?«
    Rual bestätigte das nicht nur, als würde er sich über die Anteilnahme des Lehrers freuen, sondern nannte auch gleich ihre Namen: »Edwin und Ludvik!«
    »Und die wollt Ihr auch mit solch einer Erziehung versehen?«
    »Nun ja«, Rual zögerte und blickte vor sich auf den Tisch, als suche er eine Antwort in der Maserung des Holzes. »Vielleicht später. Erst einmal soll Tristan … Er ist der …« - wieder zögerte er.
    »Der Älteste«, half ihm Courvenal, was Rual bestätigte.
    Courvenal ließ davon ab, ihn weiter nach seinen anderen Söhnen zu fragen. Er wusste nicht alles, aber er wusste genug. Beim Erstgeborenen, diesem Tristan, handelte es sich vielleicht um ein Kind mit außergewöhnlichen Fähigkeiten. Er hatte einen Schluck aus seinem Becher genommen und dann Rual, nachdem sie eine Weile auf ihrem Weg über die Gartenanlage des Klosters geredet hatten, im Speiseraum direkt darauf angesprochen.
    »Besondere Fähigkeiten?«, wiederholte Rual Courvenals Worte, »nicht dass ich wüsste. Es gab einmal eine Episode, von der man mir erzählt hat. Da war ich nicht auf der Burg: Zinseintreiber kamen aus Morgans Land, und da soll der Knabe sie allein durch sein ruhiges Wesen beschwichtigt haben. Sie ritten davon, ohne weitere Forderungen. - Und einmal«, Rual hatte eine Pause eingelegt, »kam er zu mir am Morgen, es ging mir nicht gut nach schweren Kämpfen in einer Grenzregion, da hielt er mir eine Kugel entgegen, berührte mich fast damit, und es ging mir sofort besser.«
    »Was für eine Kugel?«
    »Eine goldene Kugel, die ich ihm gegeben hatte - zum Spielen.« Rual räusperte sich.
    »Eine goldene Kugel?«
    »Ja, ja, so eine Kugel, die ich in der Truhe unseres Königs gefunden hatte …«
    »Riwalin?«
    »Ja, Riwalin, die gab ich dem Jungen zum Spielen. Mehr ist nicht. Sie liegt wieder bei den Kleinodien meines Königs. - Ach wäre er doch noch am Leben!«
    Mit einem Seufzer stieß Rual diesen Satz aus, und es verbat sich für Courvenal, weiter über die Kugel oder Tristan zu sprechen, ein anderer war dazwischengetreten, ein Name, der für einen König stand, dessen Andenken heilig war.
     
    »Narratio« ~ 84 ~ In den Augen des Mädchens
     
    Courvenal tauchte wieder den Kiel des Schreibstifts in die Tinte und schrieb über das Wort aureum den Namen Riwalin. Dann stand er auf, legte Holz ins Feuer, stocherte darin herum, bis es lodernd brannte, da der Sturm draußen sich gelegt zu haben schien. Er setzte sich, nahm einen Schluck Wein aus dem Becher und begann endlich mit seiner Aufzeichnung in diesem Heft mit dem Titel »Narratio 1«.
    Wir mussten den Jungen von einem wilden Mädchen trennen, schrieb er. Tristan hat nichts davon gemerkt, dass es noch am selben Abend aus der Burg geschafft wurde, in gute Hände übergeben, wie man mir beteuerte. Es ist besser so. Schädlich ist in der Zeit des Heranwachsens die Liebe, weil sich nur die Liebe zur Liebe findet, nicht aber der Mensch zum Menschen. Bevor nicht der eigene Körper im Schatten des Anderen sich selbst erkennt, ist er weder bei sich selbst noch imAnderen beisich selbst. Nur in dieser Reflexion ist die Weisheit der Liebe. In der Jugend verweht sie mit dem Wind.
    Courvenal erstaunte über das, was er da so rasch hingeschrieben hatte in seiner aufrechten Schrift, vermengt mit lateinischen Wörtern, corpus und ad se ipsum - er ließ es stehen, strich nichts durch, krakelte nicht über die Buchstaben hinweg, wie er es sonst tat, wenn er auf Papyrus geschrieben hatte zu Hause, im Kloster,

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