Trix Solier - Odysee im Orient - Lukianenko, S: Trix Solier - Odysee im Orient - xx
zwanzig Jahre alt. Aber selbst in diesem zarten Alter haben andere schon große Taten vollbracht! Wenn er sich an das Volk wendet, gibt er weise Dinge von sich. Sein Auftreten ist exquisit. Am Vorabend seines Geburtstages entscheidet er selbst die verzwicktesten Rechtshändel stets klug und erheiternd. Und für einen Sultan gibt es nichts Wichtigeres, als sein Volk durch seine Urteile aufzuheitern! Trotzdem überlässt er die tagtäglichen Regierungsgeschäfte Akhsogud.«
»Wahrscheinlich steckt ein düsteres Geheimnis dahinter!«, mutmaßte Trix.
»Wenn Akhsogud ein machtgieriger Höfling wäre, würde ich dir zustimmen«, erwiderte Wasab. »Aber alle wissen, wie sehr den Wesir seine Verantwortung belastet. Wenn er könnte, wie er wollte, würde er ausschließlich den Künsten und Wissenschaften nachgehen. Insofern dürfte das Geheimnis, das ohne Frage existiert, weniger düsterer als vielmehr trauriger Natur sein.«
»Warum regiert nicht der junge, kluge Sultan, sondern der Wesir, der das überhaupt nicht will?«, murmelte Trix. »Auch dies ein Rätsel. Aber ich werde es mir durch den Kopf gehen lassen!«
»Beachte dabei jedoch, dass du mit ebendiesem Kopf voran in den Boden eingegraben werden kannst, wenn du ein düsteres, ein trauriges, ja, sogar wenn du ein lustiges Geheimnis enthüllst!«, warnte ihn Wasab. »Denn ein Geheimnis muss ein Geheimnis bleiben!«
»Warum endet bei Euch bloß immer alles damit, dass man im Sand eingegraben wird?!«
»Ganz einfach: Weil es in der Wüste zu wenig Bäume gibt! Und Blut zu vergießen – das gilt einzig im Kampf als ehrenhaft!«
5. Kapitel
Bekanntlich lieben alle Völker die gute Küche. In der Regel halten sie das eigene Essen dabei für das schmackhafteste. Und natürlich gibt es bei jedem Volk Produkte, die sie zur Zubereitung ihrer Speisen nicht verwenden (auch wenn ihre Nachbarn sie gern verarbeiten). Selbst den stolzen Barbaren aus dem Norden, die im Grunde alles verschmausen, was sich rührt oder zumindest noch unlängst gerührt hat, käme es nie in den Sinn, Quark und Honig auf den Tisch zu bringen, wobei inzwischen keiner mehr zu sagen wüsste, warum eigentlich nicht. Im Westen des Königreichs gelten die Schenkel der Frösche als Köstlichkeit, doch würde dort niemand Dickmilch trinken, die sie für verdorbene Milch halten.
Die Samarschaner Nationalküche kennt drei Verbote: Man darf kein Hühnerfleisch essen, weil Hühner sich von Würmern ernähren, die ihrerseits von Toten leben, woraus unweigerlich folgt, dass, wer Huhn ist, seine eigenen Vorfahren verspeist. (Für alle anderen Vögel gilt dieses Verbot übrigens nicht; einige Freidenker versichern zudem, man dürfe durchaus Huhn essen – sofern sie keinen Bodenkontakt haben, sondern in Käfigen gehalten und mit Getreide gefüttert werden.) Man darf keine Pilze essen – und zwar aus denselben Gründen, schließlich könnte im Pilz ein Wurm stecken. Und man darf nichts essen, was eine violette Farbe zeigt, weil nach Ansicht der Samarschaner Nahrungsmittel einfach nicht violett sein können.
Alles andere darf verspeist werden. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich gebratene Heuschrecken und mariniertes Hundefleisch. Auch der in dieser Gegend seltene Fisch kommt auf den Teller, selbst wenn dieser einen Wurm keineswegs verschmäht. Beim Fleisch geben sie Hammel den Vorzug, essen grundsätzlich aber jedes Säugetier. Und zu großer Kunst haben es die Samarschaner bei der Verwendung von Pflanzen in der Küche gebracht, wobei von seltenen Exemplaren sogar Wurzeln, Stängel wie Früchte zum Verzehr gelangen.
Angesichts des hohen Besuchs – und natürlich angesichts der Anwesenheit des großen Zauberers Trix – hatten sich Wasab samt Frau und Töchtern gewaltig ins Zeug gelegt.
Und so tischten sie auf: ein Brotaufstrich aus geriebenen und gewürzten Früchten; winzige Fleischklöße aus Lammfleisch mit Kräutern; kleine drei- und viereckige Teigtaschen mit Fleisch, Käse und Obst; Fleischstücke, die in Blätter der Weinranke gewickelt und in Dampf gegart worden waren; über dem Feuer gebackener Mais; und natürlich das Pilaw.
Alle Speisen hatten ihre Namen, die sich in Trix’ Kopf jedoch rasch vermischten. Deshalb ließ er die Fragerei, verzichtete auch darauf, Ian alles zu dolmetschen, aß stattdessen begeistert und spülte alles mit dem leichten Gerstenbier hinunter. Ein hiesiger Brauch verlangte, den ersten Schluck eines alkoholischen Getränks auf den Boden zu spucken, da er einen Menschen zu
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