Troja
sie befanden sich einen Pfeilschuß südlich eines Übergangs über die Grabenanlage der Achaier. »Am besten wartet ihr hier.«
»Wer kommt mit? Es ist furchtbar eng. Nicht zu viele, schlage ich vor.« Odysseus winkte dem Führer einer achaischen Streife: sechs Männer, die mit Speeren in Büsche und Schilfflächen stachen.
»Warum machen sie das?« sagte Tashmetu. »Um nicht von Trojanern überrascht zu werden? O ihr Götter.«
»Khanussu muß mit, um zu verhandeln.« Ninurta suchte ihren Blick. »Und du, Liebste – halbwegs erträgliche Luft und längeres Warten hier, oder die kostbare Gelegenheit, Agamemnon kennenzulernen?«
Sie rümpfte die Nase. »Kostbar? Ich weiß nicht. Aber laß mich mitkommen. Was meint Odysseus?« Sie vermied es, den Fürsten von Ithaka anzureden.
Der Achaier lächelte ein wenig gequält. »Odysseus meint, daß die Fürstin des Handels die Sonne ihrer Gunst auf ihn strahlen lassen möge – trotz gewisser… Vorkommnisse, die zu den allfälligen Bedauerlichkeiten des Kriegs gehören. Ferner meint Odysseus, daß langer Aufenthalt im Lager der zehntausend Männer für eine wunderschöne Frau nicht ratsam wäre; aber ein kurzer Gang kann nicht schaden – wenn die Fürstin es wünscht.«
Tashmetu blinzelte Ninurta an. »Sag dem Kindermörder, daß die Fürstin es wünscht.«
»Tsanghar?«
Der Kashkäer nickte. »Gern.«
Zu Ninurtas Überraschung sagte Odysseus: »Nein.«
»Warum nicht?«
»Er hat allzu scharfe Augen.« Odysseus musterte Tsanghar von Kopf bis Fuß, als ob er weitere geheimnisvolle Sinnesorgane vermutete, wo gewöhnliche Sterbliche keine haben. »Die kurzen Blicke zur Entschlüsselung einer uralten Anlage von Häfen und Kanälen. Zwei oder drei Bemerkungen unter euch über geheimnisvolle Geräte, die er baut… o ja, Odysseus hat es gehört.« Mit einem schiefen Blick auf Tashmetu setzte er halblaut hinzu: »Odysseus hat auch ein Schiff namens Bateia untersucht, das im Hafen liegt.«
»Ah«, sagte Ninurta. »Odysseus leidet an überfließender Wißbegier. Schlecht gesagt. An ätzender Neugier, die einem Mangel an Kenntnissen abhelfen soll, der keinem außer dem klugen Odysseus auffiele?«
»So etwa.« Odysseus nickte nachdrücklich. » Bateia heißt das Schiff, und es gehört den Händlern, die im Auftrag des Fürsten Keleos von Ialysos segeln, nicht wahr? An der Rah hängt ein seltsamer Kasten, den zu untersuchen ich mir nicht versagen mochte. Rollen und Seile. Nach längerem Denken kam ich darauf, nur so, versuchsweise, eine Last damit zu heben. Könnte es sein, daß der junge Mann mit den scharfen Augen etwas mit diesem Gerät zu tun hat? Seht ihr, ich dachte es mir.« Tsanghar kicherte. »Es ehrt mich, Gegenstand der Erwägungen des edlen Fürsten zu sein. Aber wieso hindert mich das daran, ins Lager zu gehen?«
Plötzlich klang die Stimme des Ithakers nicht mehr verspielt spöttisch; etwas wie eine Klinge, eine eisige Drohung war in den nächsten Worten. »Der Fürst, dieser Kindermörder, will keine jungen Männer töten müssen, deren scharfe Augen zuviel sehen, was er morgen den Trojanern erzählen könnte.«
»Meinst du, er sieht etwas und rät dann den Trojanern zum Bau eines Zaubergeräts, mit dem der Krieg entschieden wird?« Zum ersten Mal redete Tashmetu Odysseus unmittelbar an.
»Ich meine es nicht, edle Fürstin. Aber ich kann es nicht ausschließen. Und da ich lebend heimkehren will… Kommt.«
Es hatte Veränderungen gegeben, seit Odysseus am Vortag mit Diomedes und Palamedes aufgebrochen war – oder zwei Tage zuvor? Um Lager und Stellungen zu besichtigen? Ninurta wollte es nicht so genau wissen, bemerkte aber die Verblüffung des Fürsten: Mitten im Lager drängten sich an die hundert verängstigte junge Frauen zusammen, in einer Art Pferch. Die meisten waren nackt oder halbnackt, und rings um den ausgesparten Platz standen Männer. Männer mit gierigen Augen, besudelter Kleidung, zottigen Mähnen – Männer, die grobe Scherze machten. Aber auch ein paar Männer, jüngere wie ältere, die Mißbilligung äußerten oder versuchten, die Gefährten zu zähmen. Zwei oder drei wandten sich ab, und mindestens einer von ihnen weinte.
Agamemnons Zelt, graue Bahnen aus Fellen und Wollstoff, prangte als herrliches Ziel jenseits der Hindernisse: eine stinkende offene Schmiede, davor ein Stapel schartiger oder zerbrochener Schwerter; ein zwei Schritte breites Rinnsal mit Küchensud, Ausscheidungen und nur noch zu ahnenden Körperteilen;
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