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Troja

Troja

Titel: Troja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Palamedes.
    Was? Ihr kennt die… andere Geschichte? Ihr sagt, die wahre , ihr Schönen – aber was ist wahr? Was man erzählt, was man erlebt, was einer berichtet, was ein anderer berichtet? Ist es nicht so, daß die brennende Sonne, die uns tagelang versengt hat, in der Erinnerung als Leuchten und Wunder erscheint, wenn wir tagelang im Regen gelegen haben? Ist nicht Wahrheit das, was wir daraus machen, indem wir uns erinnern? Und überhaupt – wer will Wahrheit? Ist der Stein, der ein Ungeziefer zerquetscht, wahrer als der Stein, mit dem wir einen staunenerregenden Turm bauen?
    Wahrheit. Wirklichkeit. Wirklichkeit ist, was uns umgibt und was wir gestalten. Wahrheit ist das Regelwerk der Wirklichkeit. Hat nicht Daidalos gesagt: Wirklichkeit ist ein Angsttraum, aus dem ich erwachen möchte? Und weil er nicht erwachen konnte, hat er zuerst mit Steinen, später mit Wörtern ein Labyrinth gebaut. Einen Irrgarten, verwirrend und tödlich wie das Leben, gleichzeitig ungeheuer scharfsinnig und witzig – ein Labyrinth, nicht sinnlos undurchsichtig wie das Leben, sondern zweckdienlich: Der Erbauer wollte verwirren; der Erbauer des Kosmos (wenn es einen Erbauer gibt) hat in seinem Werk keinen Hinweis auf Zielsetzungen hinterlassen. Das Labyrinth soll verwirren; das ist sein Sinn. Das Leben ist wirre Sinnlosigkeit. Sofern man nicht an die Götter glaubt – eure, unsere, andere, aber… auch sie sind der sinnlosen Zufälligkeit unterworfen, die wir Moira nennen. Vielleicht haben wir die Götter erdacht, um über uns noch etwas zu haben, das überlegen ist. Uns überlegen, aber dem gleichen Chaos unterlegen. Vielleicht haben wir sie erdacht, damit wir nicht so allein sind. Wenn wir schon aus diesem Angsttraum nicht erwachen können, träumen wir uns noch ein paar Wesen dazu, höhere Wesen, unsterblich und tückisch, aber ebenso wie wir in dem Traum eingekerkert.
    – – – Warum? Palamedes hat den Krieg ausgeheckt, um uns zu beweisen, daß er als Mykeniersproß ein guter Achaier sein kann. Palamedes hat mich gezwungen, bei diesem unsinnigen Unternehmen mitzuwirken. Palamedes hatte wunderbar kluge Entwürfe, wie der Krieg geführt werden sollte – wunderbar, verwickelt, betäubend, überzeugend, und vollkommen undurchführbar. Pläne, in denen Gräben und Türme und große Steinschleudern wichtig waren, eine lange Belagerung, drei Jahre, vielleicht vier. Kühne Gedanken: ein verwinkeltes Bauwerk, wunderbar anzuschauen, gebaut auf… heißer Luft.
    Auch dies will ich euch sagen, schmackhafte Gespielinnen, weil ihr danach fragt. Ich habe es damals in meiner Brust gewogen, beschlossen und… verschlossen. Getan, ohne zu sprechen. Diomedes hat mitgemacht, weil er es gut fand, ohne zu begreifen, was er gut fand. Dumpfer Achaier.
    Ilios die Festung. Troja die Stadt. Die neue Unterstadt am Simois. Dörfer und Vorwerke. Festungen im Süden, am Skamandros, gegen Angriffe aus dem Hinterland. Festungen an den Meerengen, bis weit nach Osten. Wovon haben sie alle gelebt, die dort wohnten? Hunderttausend, wenn nicht mehr; nicht alle in der Stadt, aber alle auf die Stadt bezogen, für die Stadt arbeitend und kämpfend, von der Stadt abhängig. Fischfang? Ein wenig. Landbau? O ja, das Schwemmland ist fruchtbar, wie auch die höhergelegenen Ebenen hinter den Bergen. Wir konnten einen Teil des Schwemmlands besetzen und die Küste, aber die Täler und höheren Ebenen wurden geschützt – die Zugänge zu ihnen, versteht ihr? Geschützt durch die Stadt.
    Um die Stadt zu belagern, auszuhungern, müßte man dies ganze Hinterland einnehmen. Um das Hinterland einnehmen zu können, müßte man die Stadt und alle Festungen zerstören. Seht ihr es? Ein Kreis. Ein Kreisel.
    Und sie haben nicht von dem Land und den Fischen allein gelebt, sondern auch vom Handel. Vor allem vom Handel. Ihr Land, fruchtbar und schön, war zu klein, um all diese Menschen zu sättigen. Und die Tiere dazu, Trojas schäumende Rosse…
    Wie, sagt es mir, ihr Schönen, wie wollte Palamedes all unsere Kämpfer ernähren, in einem jahrelangen Krieg? Die Vorräte, die wir mitgebracht hatten, reichten für zwei Monde, vielleicht ein paar Tage mehr. Plündern? Aber wir haben geplündert und zerstört, Aias im Norden, Achilleus im Süden. Was ist das für ein Krieg, in dem zwei Drittel der Kämpfer immer weiter herumziehen müssen, um zu plündern, damit sie und das letzte Drittel zu essen haben? Kein Krieg, ihr Fürstinnen – Wahnsinn. Wahnsinn ohne Bedacht, die Methode des

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