Troja
Sobek, der Drache Shubuk, und seine Gefolgschaft wuchs. Vielleicht, weil das, was der Stadt drohte, gräßlicher war als das, was man dem Gott nachsagte. Vielleicht, weil Madduwattas, der sich als Sohn des Drachen bezeichnete, in den Gedanken und Reden zu einem fernen, mächtigen Bundesgenossen wuchs, der zweifellos Hilfe bringen würde, wenn Hilfe denn nötig sein sollte.
Unsere Hilfe war Tashmetu, und sie war unsere Zuflucht. Sie war gute Worte, wenn wir gute Worte brauchten, und ein Lächeln für den Verzagten. Indem sie das Silber verwaltete, ohne Agamemnons Gold anzutasten, sorgte sie dafür, daß wir nie hungerten. Und dem Gold des Agamemnon fügte sie das Gold des Priamos hinzu.
Sie ging eines Tages, begleitet von Leukippe (und ich durfte mitgehen), zur Burg; Leukippe hatte dafür gesorgt, daß Priamos die Handelsfürstin aus Ugarit empfing. Ich nehme an, sie hat sich über Geschäftsfreunde an Paris gewandt, um ihn daran zu erinnern, daß er einmal in Ugarit aus der Gefangenschaft befreit wurde.
Priamos war alt, uralt: ein runzliger Greis mit Augen, die nach Entrücktheit strebten, ohne alte Tücke schon ganz aufgeben zu wollen. Paris war dabei, als wir in den großen Saal traten; Helena sahen wir nicht, aber Paris nahm die Grüße und das Geschenk für sie entgegen. Ich hätte gern ihr Gesicht gesehen, beim Anblick des Geschmeides aus Säuglingsknochen, Erz und Steinen. Später hörte ich, sie habe gellend gelacht; ich zweifle nicht daran.
Tashmetu zeigte dem König die Waffen – ein Schwert, einige Pfeilspitzen, einige Speerspitzen. Paris und Hektor, der dazukam, befanden sie für großartig und sagten, neben der Hilfe bezweifelbarer Götter seien gute Waffen (und Männer, die damit umgehen können) das Notwendigste überhaupt.
Priamos knurrte leise; nach einigem Feilschen war er bereit, die eisernen Waffen mit Gold aufzuwiegen. Gold, sagte er, sei Überfluß und im Überfluß vorhanden – mit Getreide könne er die Waffen nicht aufwiegen, denn Getreide sei in der Stadt noch karger als Götterhilfe. Er lachte dumpf und setzte hinzu:
»Wenn es zum Sieg beiträgt, ist das Gold gut ausgegeben; wenn wir verlieren, ist es gleich, in welchem Gebäude die plündernden Achaierhorden es finden.«
Dann fragte er nach Ninurta, mit einer Mischung aus Gier, Angst und Hoffnung. Tashmetu blieb am Randsaum der gestopften Wahrheit: Ninurta sei verschwunden, im Gewirr des Kampfs verloren, vielleicht gefangen oder tot. Er habe ihr aber eine Botschaft anvertraut.
Priamos runzelte die Stirn und legte die Hand an den Griff seines Schwerts. Wie das denn sein könne, da Ninurta nichts von der Botschaft wisse, die er ihm aufgetragen habe.
Tashmetu sagte, der Herr von Ashur habe es nicht für nötig befunden, ein Geheimnis zu wahren, das keines mehr sei. Der Junge, um den es gehe, sei gestorben.
Priamos zeigte keinen großen Schmerz – ein Sohn, einer von über hundert. Ein Sohn, den er kaum gekannt hatte, als Säugling schon dem König von Ashur übergeben, Geisel und Pfand der Freundschaft oder, eher, der gemeinsamen Abneigung gegen das Reich der Hatti. Ich betrachtete den König der Trojaner, den uralten Mann, und konnte mir nicht vorstellen, daß er vor kaum zwölf Jahren noch einen Sohn hatte zeugen können; Priamos mußte vor zwölf Jahren schon alt gewesen sein.
Dies, mehr nicht, sagte Tashmetu; und Priamos stellte nur eine weitere Frage: Was denn die Absichten des Herrn von Ashur seien, nach dem Tod des Knaben. Sie sagte, der Fürst Enlil-Kudurri-Ushur werde die Absprachen zwischen Prijamadu (so nannte sie ihn, in diesem Teil der Rede) und seinem Vorgänger auf dem Thron von Ashur ehren und nicht davon ablassen, die Hethiter zu vermindern.
Vielleicht hatte Priamos eine Hilfszusage erwartet; er ließ sich jedoch nichts anmerken. Es wurde noch ein wenig verhandelt – wann die Waffen gegen Gold übergeben oder abgeholt werden sollten, wo genau, dergleichen; Hektor kümmerte sich darum.
Als wir gingen, begegneten wir der düsteren Tochter des Priamos, Kassandra. Ihre Blicke huschten über uns weg; sie trug ein nachtschwarzes Gewand und hatte Asche im rötlichen Haar. Sie sprach nicht mit uns; wir hatten über sie genug gehört, um nicht viel Wert auf ein Gespräch zu legen. Es hieß, sie sehe immer alles finster, und das habe ihr den Ruf eingetragen, eine große Seherin zu sein.
Tashmetu lachte, als wir die Burg verlassen hatten, und sagte, dazu gehöre nicht viel; da in den Dingen der Menschen, vor allem der
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