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Troja

Troja

Titel: Troja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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närrischer Miene.
    An diesem Abend begab ich mich zu Tyndareos, dessen Ratlosigkeit über der Stadt brütete wie sehr greise Wolken, die weder bersten noch weichen mögen. Tyndareos und Autolykos, mein Großvater, waren alte Freunde, und für den Enkel des Autolykos hatte der König ein offenes Ohr.
    »Was will Helena?« fragte ich ihn.
    Er saß auf einer steinernen Bank, trank verdünnten Wein aus einem schlichten Becher, rieb den Rücken an der Hauswand und starrte in den dunklen Garten. Wir waren allein, unter uns.
    »Helena?« sagte er; er seufzte und deutete mit der Stirn zum Himmel. »Sie will den Mond, ohne Selene. Und alle Männer der Welt, sofern sie sich noch nicht lächerlich gemacht und heillos entkräftet haben. Am besten alle, sowohl gleichzeitig als auch hintereinander, und dann noch ein paar zusätzlich.«
    »Zieht sie einen der Freier vor?« Er knurrte nur.
    »Darf ich dir einen Rat geben, Herr von Sparta?«
    Tyndareos warf mir einen mißtrauischen Blick zu. »Rat ist entweder wertlos oder teuer. Was, wenn dein Rat gut ist?«
    »Mein Preis ist erschwinglich.«
    »Nenn mir den Preis, und wenn ich ihn für erschwinglich halte, werde ich erwägen, ob ich den Rat hören will.«
    So, ihr vorzüglichen Fürstinnen der Grotten und Gifte, dachte ein kluger Mann, einer aus den alten Herrschersippen.
    »Mein Preis ist ein gutes Wort von dir. Ich habe Penelope gesehen, und ihre kluge Wärme hat mein Sehnen nach dem eisigen Feuer ferner Sterne verscheucht, wie ein warmes Licht die Verzweiflung des durch die Nacht irrenden Knaben verscheucht.«
    Tyndareos nahm einen tiefen Schluck aus dem Becher. »Enkel meines liebsten Freundes«, sagte er dann, »ich habe von deiner Klugheit gehört. Jetzt höre ich von dir das Ergebnis deiner Klugheit. Ich kann nichts versprechen; Ikarios ist ein stolzer Mann und mein guter Bruder, und Penelope ist ebenso klug wie schön, dazu noch selbständiger als klug. Es wird ihre Entscheidung sein – aber ich will ihr und ihren Eltern sagen, daß ich es für eine gute Entscheidung hielte. Nun deinen Rat.«
    »Gib sie Menelaos.«
    Er ließ den Becher fallen und starrte mich fassungslos an, mit aufgerissenen Augen und sackendem Unterkiefer. »Menelaos?« krächzte er. »Menelaos der Öde? Menelaos der Tropf? Er … und Helena?«
    »Sein Bruder Agamemnon, dein Schwiegersohn, ist reich und mächtig. Und ganz Achaier.«
    Tyndareos nickte. Ich hatte das nicht als Drohung gemeint, aber der alte Mykenier verstand.
    »Gib sie Idomeneus, und alle werden zetern. Vielleicht beginnen sie einen Krieg. Gib sie einem der anderen, und es wird genauso sein. Keiner wird sich je damit abfinden, daß man ihm einen anderen vorgezogen hat. Aber… wer will mit Menelaos wetteifern? Keiner. Man wird die abgründige Unauslotbarkeit deiner Ratschlüsse rühmen, o König.«
    »Du bist… gerissen, Odysseus.« Tyndareos schob die Scherben des Bechers mit dem Fuß zusammen, wieder auseinander, hob den Kopf und sah mich an. »Sehr listig. Soll ich sie nicht doch lieber dir geben?«
    Ich hob die Hände. »Verschone mich, Fürst! Ich als dein Schwiegersohn, in Sparta, mit dieser Göttin? Sie wird mich verzehren und… außerdem, was den Thron angeht: Menelaos ist leicht zu lenken. Helena ist eine sehr kluge Frau, und mehr als das. Du wirst einen gefügigen Schwiegersohn haben. Und wenn du stirbst, Herr, wird Helena Königin sein – nicht Menelaos König. Es wird auch niemand murren oder gar mit Gewalt drohen; Sparta und Mykene, mit Menelaos’ Bruder Agamemnon, sind zusammen zu stark.«
    Tyndareos schwieg; er schien zu grübeln.
    »Noch einen Grund?« Ich konnte ein Kichern nicht ganz unterdrücken. »Menelaos versucht, das Feuer, das Helenas Anblick in seinen Lenden angefacht hat, mit den Händen zu ersticken. Klügere Männer, die ähnliches tun, werden wieder zur Vernunft kommen; bei ihm sehe ich die Gefahr, daß er sich beidhändig umbringt. Es wäre vielleicht der erste Selbstmord dieser Art, aber… Agamemnon könnte dir grollen, wenn sein Bruder auf so lächerliche Weise umkäme.«
    Tyndareos lachte, bis ihm die Tränen das Brustgewand durchtränkten. Dann stand er auf und umarmte mich.
    Am nächsten Morgen rief er die Freier zusammen und verkündete seinen Entschluß. Helena hatte zugestimmt; sie saß neben ihm und betrachtete die Versammlung, und nie sah ich so… gefräßige Augen wie ihre in diesen Stunden.
    Ich? Ach, ich will es kurz machen. Ich brachte viele Tage damit zu, Penelope von ihrer Klugheit und

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