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Troposphere

Troposphere

Titel: Troposphere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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»Eines der Probleme mit der Troposphäre besteht darin, dass man über manche Dinge nicht nachdenkt, bis es zu spät ist und man sie schon getan hat. Ich meine, alle meine Erlebnisse dadrinnen sind bis jetzt experimenteller Natur gewesen.« Als ich diesen Satz nochmal überdenke, merke ich, dass er nicht ganz stimmt, und sie weiß das auch. Ich muss ehrlich sein, wenn ich eine Verbindung zu ihr herstellen will. »Okay, ich nehme an, als ich Saul finden wollte, habe ich es das einzige Mal mit voller Absicht getan …«
    »Warum nennen Sie ihn manchmal ›Burlem‹?«, fragt sie mich, ohne mit dem Umgraben aufzuhören.
    »Äh, ich mache es einfach«, antworte ich. »Ich habe es wohl an der Universität aufgeschnappt. Eine Menge Leute dort nennen ihn eher Burlem als Saul.«
    »Sie nennen ihn bestimmt ›Professor Burlem‹«, sagt sie stirnrunzelnd.
    »Nicht die anderen Mitglieder des Lehrkörpers.« Ich zucke mit den Achseln. »Macht Ihnen das was aus?«
    »Ja. Aber ich weiß nicht, warum.«
    »Dann höre ich damit auf. Es tut mir wirklich leid.«
    Wir beide graben weiter um. Ich finde einen Regenwurm, den ich vorsichtig aufhebe und in Sicherheit bringe. Lura sieht mir dabei zu, aber ich habe keine Ahnung, was sie davon hält.
    »Was haben Sie über mich rausgefunden, als Sie in Sauls Kopf waren?«
    »Kaum etwas«, sage ich. »Ich weiß, dass Sie in Deutschland mit ihm geschlafen haben – das ist das einzige intime Detail, das ich kenne. Es gab offensichtlich noch eine Menge mehr Einzelheiten über Sie beide, aber Sie dürfen nicht vergessen, dass ich nur herausfinden wollte, wo er war, und nicht, was er von irgendwelchen anderen Dingen hielt, und deshalb bin ich einer bestimmten Reihe von Erinnerungen gefolgt.«
    »Hm.«
    »Es tut mir wirklich leid. Hören Sie, Sie können gern in meinen Kopf kommen, wenn Sie wollen, jederzeit. Ich habe ein paar ziemlich schmutzige Sachen dadrin, einschließlich einiger Details, die ich in meiner ›Geschichte bisher‹, wie ich sie Ihnen neulich erzählte, ausgelassen habe.«
    »Das ist schon okay. Aber vielen Dank«, sagt sie und wendet sich wieder dem Umgraben der rötlichen Erde zu. Was ich gesagt habe, scheint nicht das Geringste bewirkt zu haben.
    Aber dann lächelt sie.
    »Ich arbeite immer gern im Garten, wenn ich mir etwas durch den Kopf gehen lassen muss«, sagt sie. »Es ist schön eintönig und entspannend, finden Sie nicht?«
    Mein Gott. Hat sie tatsächlich gerade ein Gespräch mit mir angefangen?
    »Ja«, sage ich. »Das ist es wirklich.«
    »Saul muss alles auf eine ›Zen‹-Art tun, zumindest im Moment. Also legt er sein ganzes Wesen in das Umgraben der Erde, wenn es das ist, was er gerade tut. Nicht dass er im Garten arbeiten würde. Aber manchmal, wenn er einen Zaun streicht oder einen Stecker verkabelt, kann man sehen, wie er es macht, wie er völlig in seiner Tätigkeit aufgeht und sie nicht nur als Vorwand benutzt, über etwas anderes nachzudenken.«
    Ich frage mich, was sie sich durch den Kopf gehen lässt. Wahrscheinlich, wie sie mich am besten auffordert zu gehen. Ich weiß nicht recht, was ich als Nächstes sagen soll. Aber ich möchte auch nicht, dass das Gespräch versiegt. Zum ersten Mal, seit ich hier bin, habe ich nicht das Gefühl, dass Lura mich verachtet.
    »Oh, es hat wieder jemand auf den Anrufbeantworter gesprochen«, sage ich.
    »Ach ja. Die Schriftstellerin. Schon wieder.«
    »Die Schriftstellerin?«
    »Ja. Das ist das Problem, das ich mir durch den Kopf gehen lasse.« Sie seufzt, und es entsteht eine lange Pause. »Saul sagt mir, Sie wüssten eine Menge über Gedankenexperimente.«
    »Ja«, sage ich. »Gedankenexperimente sind – vielleicht sollte ich besser sagen ›waren‹ – das Thema meiner Doktorarbeit.«
    »Hm. Würden Sie sagen, dass ein Gedankenexperiment eine Geschichte sein kann?«
    »O ja«, antworte ich sofort. »Ich würde sagen, alle Gedankenexperimente sind Geschichten.«
    »Das ist interessant. Warum?«
    »Na ja, weil alle Gedankenexperimente die Form einer Erzählung annehmen. Zumindest diejenigen, die ich verstehe.« Mir fällt wieder ein, dass ich mit einer echten Naturwissenschaftlerin rede, und plötzlich wird mir klar, dass ich eine Art Haftungsausschluss brauche. »Ich bin mir sicher, Sie können mir Gedankenexperimente nennen, die keine Geschichten sind. Aber …«
    Sie runzelt die Stirn. »Nein. Mir gefällt die Idee, dass Gedankenexperimente Geschichten sind. Ich vermute, wenn es keine Geschichten sind, dann

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