Troposphere
dann begreife ich, dass in dieser kleinen Welt alles aus Nullen und Einsen bestünde. Die kleinen Figuren wären vielleicht nicht in der Lage, sie zu sehen, aber alles, einschließlich ihrer Gedanken, wäre aus demselben Material gemacht.
»Ihre Gedanken würden aus demselben Code bestehen, aus dem ihre Welt besteht«, antworte ich Lura. »Aus Nullen und Einsen.« Aber ich merke, wie mir allmählich übel wird.
»Ja, sehr gut. Und jetzt noch etwas: Das Gras und die Bäume in unserer binären Welt. Woraus bestehen die?«
»Aus Nullen und Einsen«, erwidere ich.
»Und die Häuser und das Wasser und die Luft?«
»Aus Nullen und Einsen.«
»Und was geschieht mit den Gedanken in dieser Welt, sobald sie gedacht wurden? Verschwinden sie wieder?«
»Sie werden auf der Festplatte gespeichert.« Ich schweife ab und denke an zeitweilige Zwischenspeicher und den Unterschied zwischen RAM und ROM. »Oder nicht?«
»Doch. Es sind Informationen, wiedergegeben in Nullen und Einsen, genau wie alles andere in dieser Welt. Also würden Sie mir zustimmen, dass die Festplatte in dem Maß erweitert wird, in dem diese Wesen denken?«
Ich denke darüber nach. Ich habe die Kelle beiseitegelegt und setze mich auf die Plane. Ein paar weitere Regentropfen fallen aus dem Nirgendwo, aus derselben unsichtbaren Wolke am Himmel.
»Na ja«, sage ich. »Ich bin mir bei dieser Frage nicht sicher. Sie klingt wie eine potenzielle Fangfrage.«
»Ja. Das ist sie auch. Die Festplatte selbst wird nicht erweitert oder irgendwas in der Art. Aber die Information darauf ändert sich. Die ganze Zeit wird darauf geschrieben. Falls man dächte, die Festplatte wäre nur ein leerer Speicherplatz, auf dem geschrieben werden soll, würde man denken, dass sie erweitert wird. Aber wenn man begreifen würde, dass es sich nur um Information handelt, die verschlüsselt wird, damit sie einen Sinn ergibt – aber nicht mehr oder weniger Information insgesamt –, dann würde man nicht denken, dass sie erweitert wird. Man könnte behaupten, in diesem Szenario gäbe es keinen leeren Speicherplatz.«
»Okay.«
»Nun denn. Was denken Sie bis jetzt darüber?«
»Ich denke, mir ist ein bisschen schlecht.«
»Aber warum?«
»Weil das, was Sie sagen, vollkommen sinnvoll ist. Die Troposphäre ist wie eine Festplatte, auf die wir normalerweise keinen Zugriff haben, obwohl das theoretisch möglich wäre, weil sie auf derselben Maschine ist … und … Ach, Mist. Wir leben in einer Computersimulation. Wollen Sie das sagen?«
»Ah«, sagt sie. »Gut. Das ist interessant. Nein. Ich glaube nicht, dass wir in einer Computersimulation leben. Der Computer ist eine Metapher.«
»Eine Metapher wofür …?«
»Ich möchte, dass Sie darüber eine Weile nachdenken«, sagt sie. »Sie haben mir bereits bei meinem Problem mit der Schriftstellerin geholfen. Aber jetzt möchte ich, dass Sie über etwas anderes nachdenken. Wenn in dieser Computersimulation Gedanke und Materie aus derselben Sache bestehen, wie entsteht dann Materie?«
Der Regen wird jetzt stärker, obwohl noch immer keine Wolken zu sehen sind. Lura steht auf.
»Vielleicht ist das dieser tolle Sturm«, sagt sie. »Gehen wir rein.«
Sobald wir drinnen sind, macht sich Lura auf in ihr Arbeitszimmer.
»Denken Sie darüber nach«, sagt sie nochmals.
Und das tue ich. Ich setze mich auf mein Bett und durchdenke das Ganze gründlich. Damit verbringe ich den Tag, indem ich das Gedankenexperiment zu Ende spiele, jedes Mal mit ein paar mehr Details. Falls Gedanke und Materie aus derselben Sache sind, wie entsteht dann Materie? Ich denke über Materie nach und darüber, was sie ist – nur Quarks und Elektronen –, und ich frage mich, inwiefern Quarks und Elektronen sich tatsächlich von Nullen und Einsen unterscheiden. In beiden dieser möglichen Welten wird Materie auf dieselbe Weise »gemacht«. Das Universum besteht genau wie die Computerwelt aus derselben Menge Materie. Quarks und Elektronen können kombiniert werden, um in der physischen Welt alles zu bilden, was man will: ein Samenkorn, einen Baum, Kohlenstoff. Und dann verfaulen die Dinge und werden von neuem gemacht, aus demselben Stoff.
In der Computerwelt könnte man etwas aus Nullen und Einsen machen – beispielsweise ein pornographisches Bild –, und dann könnte man es mit etwas völlig anderem überschreiben, wenn man die richtige Software hätte, die einen auf der Ebene von Nullen und Einsen mit dem Speicher herumspielen ließe. Man könnte es so
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