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Troposphere

Troposphere

Titel: Troposphere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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größten Teil ist der Traum derselbe wie in der Nacht zuvor, in dem er immer wieder sagte: »Sie sind mir noch was schuldig.« Der andere Teil des Traums handelt von allem, was er über Zeitreisen und Paradoxien sagte. Ich frage ihn: »Aber wie kann ich rückwärts in die Zeit reisen und eine Welt ändern, die nicht schon jetzt durch das geändert ist, was ich getan habe?«
    Und er antwortet: »Sie haben es schon getan.«
    Am Ende kriege ich knapp eine Stunde Schlaf.
    Als ich am Morgen aufstehe, hat es aufgehört zu regnen, und Burlem hat mir Porridge gekocht. Ich bin mir nicht sicher, ob ich Porridge will: Ich glaube, ich will eine Menge rauchen und die Küchenschubladen durchsuchen, bis ich das schärfste Messer finde, und dann will ich ein paar Stunden alleine damit verbringen, um mich davon zu überzeugen, dass ich wirklich bin und ein Mensch und etwas bedeute. Aber am Ende esse ich doch nur den Porridge und rauche eine Zigarette und trinke ein Glas Wasser. Lura kommt gegen zehn aus ihrem Arbeitszimmer.
    Ich sitze auf einem der gelben Sofas und ziehe das letzte Mal an meiner zweiten Zigarette des Tages. Das Feuer ist ausgegangen, und ich schnipse den Stummel in die Asche. Burlem ist mit Planck spazieren. Lura macht sich eine Tasse Kräutertee und setzt sich zu mir.
    »Also dann«, sagt sie.
    Ich huste ein bisschen. »Also dann«, erwidere ich.
    »Was für eine Nacht«, sagt sie. »Wie fühlen Sie sich?«
    Ich sehe an ihr vorbei, durch die Terrassentür hinaus. Das Gras ist immer noch feucht von Tau. Ich kann das Stück Erde sehen, das wir gestern umgegraben haben.
    »Ich fühle mich vollkommen zerschlagen«, antworte ich. »Das ganze Nachdenken … und ich habe nicht besonders gut geschlafen.«
    »Oh? Das ganze Nachdenken?«
    »Hauptsächlich schlechte Träume«, erkläre ich. »Paradoxien der Zeitreise.«
    »Ah. Ja. Das hält einen wach. Ich war mal mit einem Weltklasse-Experten auf diesem Gebiet verheiratet. Ich müsste es eigentlich wissen.« Ihr Lächeln ist schwach, und ich überlege, was mit ihm geschehen ist. Ist er mit jemandem auf und davon, den er von Toiletten aus anrief? Oder ist er gestorben, und Lura hat sich den Hund geholt, um Gesellschaft zu haben? Ich kann sie jedenfalls nicht fragen.
    Ich runzele die Stirn. »Mir haben die Füße keine Ruhe gelassen.«
    Sie lächelt und trinkt einen Schluck Tee. »Füße?«
    »Ja«, sage ich. »Der menschliche Fuß. Niemand weiß genau, wie er funktioniert – na ja, auf alle Fälle nicht gut genug, um einen reproduzieren zu können. Und dann gibt es Dinge wie nichtcodierte DNS und kognitive Prozesse und die Art, wie die Quantentheorie nicht mit der Gravitation in Einklang zu bringen ist, obwohl alle glauben, das müsse gehen … Wie funktioniert das?«
    »Das müssten Sie deutlicher erklären«, sagt sie. »Wie funktioniert was?«
    »Na ja, es war eindeutig niemand in der Lage, diese Dinge in ihr Dasein zu »denken«, aber sie sind trotzdem da. Ich vermute, dass ich zu fragen versuche, wie die poststrukturalistische Physik Dinge erklärt, die ohne Erklärung in der Welt existieren, wenn die Erklärung doch das sein sollte, was sie erschaffen hat.«
    Lura nickt. Aber sie schweigt weiter.
    »Ich meine«, sage ich, »in dem Szenario, das Sie beschrieben haben, wie kann es darin überhaupt ein Geheimnis geben?«
    »Gute Frage«, sagt sie. »Sehr gute Frage.«
    »Gibt es eine Antwort?«
    Sie seufzt. »Ja. Ich glaube schon. Es ist interessant, dass Sie über Paradoxien im Zusammenhang mit Zeitreisen nachgedacht haben, weil …«
    »Weil was?«
    »Na ja, in all diesen Fragen geht es in Wirklichkeit um Schöpfung. Was ist ein Schöpfer? Was tut ein Schöpfer? Wann findet Schöpfung statt? Natürlich hassen Naturwissenschaftler die Wörter Schöpfung oder Kreationist. Die Naturwissenschaft sagt, sie sei gegen Kreationismus oder Intelligent Design – oder zumindest ist sie dagegen, dass sie zusammen mit der Naturwissenschaft im naturwissenschaftlichen Unterricht gelehrt werden. Aber die Ironie ist, dass es Schöpfer gibt, und das sind die Naturwissenschaftler.« Lura nippt an ihrem Tee und stellt die Tasse hin. »Und wir sind derart an die Idee der Schöpfung als etwas gewöhnt, das am Anfang geschieht. Zuerst wurde die Welt erschaffen, dann wurden wir erschaffen, dann begannen bestimmte Dinge zu passieren. So wird die Geschichte normalerweise erzählt. Aber was wäre, wenn es die Zukunft ist, die uns erschafft, und nicht die Vergangenheit?«
    »Mist …«, sage ich.

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