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Troposphere

Troposphere

Titel: Troposphere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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sie es auch nicht. Lebewohl zu sagen wäre ein bisschen beängstigend, und es ist noch nicht ausgemacht, dass wir das müssen. Vielleicht finde ich den Weg zurück, und vielleicht weiß ich immer noch, wer sie sind, wenn ich wiederkomme.
     
    Der schwarze Kreis auf der Karte. Vielleicht brauche ich den nicht mal. Aber ich hole ihn trotzdem aus der Tasche.
    Und so liege ich gerade wieder auf meinem Bett, als die Sonne am Himmel zu verblassen beginnt, wie eine Tablette, die sich auflöst, und frage mich, ob ich jemals wieder etwas von dieser Welt sehen werde. Ich bin mir sicher, dass ich auf die Flüssigkeit verzichten kann, also brauche ich mir jetzt nur noch den schwarzen Kreis hoch über die Augen zu halten. Und schon verschwimme ich weg von hier. Lebe wohl, denke ich. Ich wollte es vorher nicht sagen. Aber auf einmal muss ich. Ich muss die Sache ordentlich zu Ende bringen. Lebe wohl, Lura. Lebe wohl, Burlem. Lebe wohl …
     
    Es ist Nacht in der Troposphäre, wie üblich. Ich stehe auf einer überladenen Straße mit zu vielen Kanten und Außen- und Innenseiten. Es wirkt vertraut, all das ergibt für mich einen Sinn. Unter meinen Füßen Pflastersteine, links und rechts ragen große graue Häuser hinter Reihen von Geschäften, Casinos, Naturkostläden, Bordellen, Sexläden, Pfandleihern und Spielzeugläden in den Himmel. An der Ecke ist ein winziges Antiquariat, und ich denke: Burlem. Aber ich kann überhaupt nichts ausmachen, was sich auf Lura bezieht. Die Neonschilder flackern überall. Offen. Offen. Mädchen, Mädchen, Mädchen. Einige der Schilder sind nur Pfeile, und wenn ich sie anschaue, scheinen sie auf andere Pfeile zu zeigen. Auf einem von ihnen steht: Sie befinden sich hier. Ein anderer Pfeil zeigt auf einen Durchgang, der aussieht wie der Eingang zu einem Mauseloch. Will ich Apollo Smintheus sehen? Ich vermute, ich muss ihn sehen. Ich muss herausbekommen, wo genau ich Abbie Lathrop finden kann. Ich gehe auf das Mauseloch zu.
    Dann verdunkelt sich der Himmel noch mehr.
    Irgendwas bewegt sich. Was ist los? Ich erhasche einen flüchtigen Blick von etwas Braunem und etwas Blauem. Die Farbe Blau: Wo habe ich sie schon mal gesehen? Aber ich habe nicht viel Zeit zum Überlegen, weil als Nächstes beide KIDS aus dem Mauseloch kommen.
    »Aha«, sagt der eine von ihnen, der in dem Cowboy-Kostüm.
    »Das ist zu leicht, verdammte Scheiße«, sagt der andere, dessen blauer Umhang sich in einer nicht vorhandenen Brise bewegt.
    Sie kichern beide.
    O Gott.
    »Na ja, da ist ihr Bewusstsein. Da ist das Tor. Gehen wir rein und bringen es hinter uns«, sagt der erste.
    »Es sieht nicht so aus wie in den Köpfen der anderen«, sagt der Junge mit dem Umhang. »Es ist alles voll mit Unkraut.«
    »Ja, schön. Und wennschon, stimmt's?«
    »Wartet«, sage ich.
    »Wartet«, äfft mich der mit dem Umhang nach.
    »Ja, genau«, sagt der andere. »Wartet.«
    Sie kichern wieder.
    »Man gönnt uns aber auch kein bisschen Spaß hier drinnen«, sagt der mit dem Umhang.
    Mist. Mist. Was sage ich jetzt?
    »Das wird die aufregendste Sache werden, die wir je gemacht haben«, sagt der in dem Cowboy-Kostüm. »Juu-huuu!« Er stößt einen kleinen Jauchzer aus, als hätten seine Eltern ihm gerade gesagt, dass er ein neues Spielzeug kriegt oder dass sie mit ihm in den Zoo gehen oder dass er lange aufbleiben und mit allen anderen zusammen den Film sehen kann.
    »Ich weiß, was mit euch passiert ist«, sage ich. »Es tut mir wirklich leid.«
    »Warum? Du hast uns doch nicht umgebracht«, sagt der mit dem Umhang.
    »Nein, aber …« Ich will ihnen sagen, wie gut ich sie verstehe, dass ich glaube, ich könnte einer von ihnen sein. Aber mir fällt nichts ein.
    »Halt den Mund, Benjy«, sagt der Cowboy. Und an mich gewandt: »Versuch nicht, uns zu psychoanalysieren, du Schlampe.«
    Der andere reißt die Augen weit auf und lacht.
    »Okay, es ist so weit«, sagt er. Er zieht ein Skateboard unter seinem Umhang hervor. »Komm schon, Michael.«
    Ich muss irgendwas tun. Aber was kann ich bloß tun? Es gibt hier nicht mal irgendwelche Waffen. Keine Metallstangen oder so etwas in der Art. Allerdings habe ich auch den Eindruck, dass man damit bei diesen beiden hier nicht so viel ausrichten würde.
    Wo ist Apollo Smintheus?
    Bitte, hilf mir, denke ich.
    »Wir haben uns schon um deinen Freund gekümmert«, sagt Michael, der Cowboy.
    Der andere unterdrückt ein weiteres Kichern. Ich weiß nicht, warum er es zu verbergen versucht. Schließlich kann ich nichts

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