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Troposphere

Troposphere

Titel: Troposphere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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»Aber wie …«
    Lura lacht. »Aber wie das funktioniert? Tut es nicht, jedenfalls nicht der klassischen Physik zufolge.«
    »Also … das hängt mit der Frage zusammen, die ich letzte Nacht gestellt habe, bei der es um Gedanken ging, die sich nach hinten auswirken, stimmt's?«
    »Ja.«
    »Dann wollen Sie sagen, dass jemand in der Zukunft eine Theorie entwickelt, die beispielsweise Quantenphysik und Schwerkraft miteinander in Einklang bringt, und dass diese Theorie die Welt in der Weise funktionieren lässt, wie sie es jetzt tut? Dann entdecken Naturwissenschaftler nur Dinge, die bereits geschehen sind?«
    »Ja zur ersten Frage, aber nein zur zweiten. Einstein hat immer noch die Relativität erschaffen, indem er sie dachte«, sagt sie, greift zu ihrer Teetasse und nimmt einen Schluck. »Aber jemand in der Zukunft wird den nächsten Schritt tun und jemand anders den Schritt danach, und es wird alles in die Geschichte einsinken.«
    »Demnach leben wir in einer Welt, über die schon unendlich viele Leute in der Zukunft nachgedacht haben?«, frage ich.
    »Nein. Weil die Zukunft noch nicht geschehen ist. Und die Zukunft ist vielleicht nicht unendlich.«
    »Aber …«
    »Es ist kein von Ursache und Wirkung bestimmtes Universum mehr, Ariel. Nichts geschieht wirklich vor oder nach irgendetwas anderem. Man könnte sagen, dass in einem gewissen Sinn alles gleichzeitig geschieht.«
    Ich denke an den Zug der Angst und daran, wie ich in der Lage war, an jedem Punkt meiner Wahl zu mir selbst zurückzukehren. Aber das lag daran, dass ich mich mit etwas bewegte, das keine Masse hatte und in der Lage war, mit unendlicher Geschwindigkeit zu fahren. Ich führ auf Emotion und nicht auf etwas Wirklichem.
    Aber sind Gedanken wirklich? Haben Gedanken Masse?
    Das muss so sein. Wir haben uns bereits darauf geeinigt, dass Gedanken Materie sind.
    Oder nicht? Ich bin mir bei alledem noch immer nicht sicher.
    »Entschuldigung«, sagt Lura. »Da haben Sie eine Menge zu verkraften.«
    »Nein«, sage ich. »Entschuldigen Sie sich nicht. Ich will das alles jetzt wissen, bevor ich in die Troposphäre zurückgehe. Ich will … Lura?«
    »Ja?«
    »Wenn – und falls – ich zurückkomme, wird das Buch nicht mehr existieren, stimmt's?«
    Sie nickt. »Ich hoffe, dazu wird es kommen.«
    »Also wissen Sie es nicht wirklich?«
    »Nein. Ich weiß nicht, was geschehen wird.«
    »Es ist möglich, dass ich Sie nie getroffen haben werde«, sage ich. »Schließlich wird Saul nie seinen Vortrag gehalten und Sie deshalb nie kennengelernt und deshalb auch nie das Buch gefunden haben, und deshalb musste er auch nie weglaufen. Und die Männer vom Project Starlight werden nicht hinter uns allen her sein und … ich werde nicht mal wissen, wer Saul ist, weil ich ihn nicht auf der Konferenz kennengelernt habe. Also werde ich auch keine Dissertation mehr schreiben und …«
    »Das ist allerdings ein Universum, das auf Ursache und Wirkung beruht«, sagt Lura. »Ich glaube nicht mehr, dass wir in einem solchen Universum leben.«
    »Was wird denn Ihrer Ansicht nach geschehen?«
    »Ich glaube, das Buch wird verschwinden, aber alles andere bleibt, wie es ist.«
    Ich muss an Apollo Smintheus denken. Die Mäuse würden sich alle in Luft auflösen, glaube ich. Die Welt würde sich nicht ändern. Niemand würde es merken. Ich begreife es bloß nicht. Wie kann man zurückgehen, um die Vergangenheit zu redigieren, und erwarten, dass das die Zukunft nur ein kleines bisschen verändert?
    »Sie glauben. Sie wissen es nicht?«
    »Glauben ist manchmal Wissen«, sagt sie.
    Und dann frage ich mich, was das Ganze hier sein soll. Ist mein letzter Ausflug in die Troposphäre ein Experiment? Aber ich muss in jedem Fall gehen. Ich weiß ganz genau, warum. Und ich bin froh, dass Lura mir das alles erzählt, bevor ich aufbreche. Vermutlich werden sich ja meine Gedanken nicht ändern? Ich will's doch hoffen. Es gibt immer noch so viel, worüber man nachdenken muss.
    Mein Magen revoltiert. Ich habe eine Entscheidung getroffen. Ich werde es heute Nachmittag tun.
    Ich sage es Lura.
    »Ja«, sagt sie. »Ich glaube, das ist der richtige Zeitpunkt.« Als Burlem zurückkommt, trinken wir alle noch eine Tasse Tee, und sie fragen, ob ich etwas zu Mittag essen möchte, bevor ich gehe, als wäre ich ein Wochenendgast, der im Begriff ist, den Zug zurück nach London zu nehmen. Ich sollte etwas essen, aber ich habe überhaupt keinen Appetit. Ich will eigentlich nicht Lebewohl sagen, und offensichtlich wollen

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