Troposphere
Ich bin schon an Orten wie diesem hier gewesen – gewisse Gegenden Londons, Tokio, New York –, aber da waren immer zu viele Leute, die einkauften, mit Fotoapparaten rumknipsten, redeten, rannten, spazieren gingen, hofften, begehrten. In großen Städten bekomme ich Anfälle von Klaustrophobie, überwältigt von all dem Verlangen auf engstem Raum, all diese Leute, die versuchen, Dinge in sich aufzunehmen: Sandwichs, Cola, Sushi, Markennamen, Waren, Waren, Waren. Aber hier ist niemand. Es gibt eine Bushaltestelle, aber keine Busse, Verkehrsschilder, aber keinen Verkehr. Ich gehe weiter, und ich kann tatsächlich das dumpfe Geräusch meiner Schritte auf der harten Straße hören. Eine Wendung nach rechts führt zu einem kleinen Platz mit einem gurgelnden Springbrunnen in der Mitte. Hier sehe ich schattenhafte Cafés, die mit ihren Tischen und Stühlen die dunklen Bürgersteige zustellen, und ein paar kleine Stadtbäume, die aus Betonblöcken emporwachsen. Ich will nicht Gefahr laufen, mich zu verirren, und deswegen komme ich rasch wieder auf die Hauptstraße zurück, unsicher, was ich als Nächstes tun soll. Ich drehe mich um, und alles in meinem Blickfeld wirbelt kunterbunt durcheinander.
Wo soll ich hingehen?, denke ich.
Und dann informiert mich eine metallisch klingende Frauenstimme: Sie haben jetzt die Wahl zwischen vierzehn Möglichkeiten.
Das Bild der Straße vor mir ist plötzlich überlagert vom Bild einer Konsole: so etwas wie ein Stadtplan oder ein Computerbildschirm vor meinem geistigen Auge. Ein paar Bereiche leuchten kurz in einer Art blasser computerbildschirmblauer Farbe auf – wie Kriegsgebiete auf einer Weltkarte. Dies sind die Möglichkeiten, soviel ich verstehe. Aber …? Eigentlich verstehe ich nichts von dem, was vor sich geht. Die am nächsten liegende »Möglichkeit«, falls es das ist, was das hier bedeutet, ist der dritte Stock eines Hochhauses direkt dort, wo ich gestartet bin. Ich gehe ein paar Schritte und beginne, die im Zickzack verlaufende Feuertreppe hochzusteigen, wobei die Gummisohlen meiner Turnschuhe auf den Metallstufen einen hohlen, dröhnenden Laut erzeugen. Kurz darauf stehe ich vor einer grünen Tür, von der die Farbe abblättert. Ich drücke gegen die Tür, und sie öffnet sich nach innen. Was mache ich jetzt?
Sie haben jetzt die Wahl, sagt die körperlose Stimme.
Ich bin drinnen.
Sie haben jetzt die Wahl.
Sie … Ich stehe still auf vier gekrümmten Beinen, und – oh, Mist – ich sitze in der Falle. Ringsum sind dicke, etwas verblasste Plastikwände, und ich kann mich nicht bewegen. Ich kann ein bisschen nach vorne gehen und ein bisschen nach hinten, das weiß ich, aber im Moment bin ich bewegungslos. Scheiße. Ich kann kaum atmen. Ich blinzele immer wieder, weil mit meinem Gesichtsfeld irgendwas nicht stimmt: Alles außerhalb meines Gefängnisses sieht braun und verzogen aus, und überall gibt es Spiegelungen. Und ich habe Hunger, einen Hunger, wie ich ihn noch nie erlebt habe, und ich verspüre ihn an einer Stelle meines Magens, die ich bislang nicht kannte. Was auch immer ich bin, das hier ist eine Art Hölle: Dieses Gefühl könnte man in einem Albtraum nur ein oder zwei Sekunden lang ertragen, bevor man schreiend aufwacht. Ich kann mich nicht bewegen. Ich kann mich nicht umdrehen. Meine Arme/Beine/Flügel werden an die Seite meines Körpers gedrückt. Ich glaube, ich habe einen Schwanz, aber ich kann ihn nicht bewegen. Er wird von irgendetwas nach unten gedrückt. Und ich glaube, ich werde hier sterben, allein, unfähig, auch nur den Kopf zu bewegen. Komm schon, Ariel. Du bist immer noch Ariel. Ja, Ariel und … Was? Wer bin ich? In wessen Kopf bin ich auf telepathische Weise eingedrungen? Ich – oder zumindest »wir«; ich habe das gleiche Definitionsproblem wie Mr. Y – will mich kratzen. Ich will essen: Ich weiß, das ist der Grund dafür, weshalb ich in diese Kiste gekommen bin. Da war etwas Süßes und Krümeliges, das ich gegessen habe, doch das ist schon eine Weile her. Aber fast genauso sehr will ich mich kratzen. Ich liebe es, wenn meine spitzen Fußnägel hinter meinen Ohren kratzen und das Jucken nachlässt, und ich würde alles dafür geben, wenn ich das jetzt tun könnte (es ist nicht so, dass ich die Ökonomie des Hoffens verstünde). Ich habe es versucht – tatsächlich versuche ich es immer noch. Warum kann ich mich nicht bewegen? Ich, Ariel, kann die Acrylglaswände sehen, aber das andere »Ich« weiß nicht, was los ist. Dieses Wesen
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