Trouble - Ein Jack-Reacher-Roman
Schaufenster von innen bis in Kopfhöhe weiß gestrichen, sodass oben nur ein schmales Lichtband frei blieb. Im oberen Teil war der Anstrich durch einen schwarz eingerahmten Goldstreifen begrenzt. Auf dem Glaseinsatz der Tür stand in ähnlicher Schrift Calvin Franz – Diskrete Ermittlungen, darunter eine Telefonnummer. Schlichte Buchstaben, drei Zeilen in Brusthöhe, einfach und direkt.
»Traurig«, sagte Reacher. »Findest du nicht auch? Aus der großen grünen Maschine hierher?«
»Er war Familienvater «, entgegnete Neagley. »Er hat sich fürs leichte Geld entschieden. Das war seine freie Entscheidung. Mehr wollte er jetzt nicht.«
»Aber ich wette, dass dein Büro in Chicago nicht so aussieht.«
»Nein«, sagte Neagley. »Das tut’s nicht.«
Sie zog den Schlüsselring, von dem Angela sich so widerstrebend getrennt hatte, aus der Tasche, wählte den größeren Schlüssel aus, sperrte damit auf und zog die Tür auf. Aber sie ging nicht hinein.
Weil das gesamte Büro zertrümmert war.
Vor ihnen lag ein schlichter quadratischer Raum – klein für einen Lagerraum, groß für ein Büro. Was es hier an Computern, Telefonen und sonstigen Geräten gegeben haben mochte, war längst verschwunden. Der Schreibtisch und die Aktenschränke waren durchwühlt und dann auf der Suche nach Geheimfächern mit Äxten total zertrümmert worden. Sogar den Drehstuhl hatte man zerlegt und seine Polsterung herausgerissen. Die Wandpaneele waren mit Brecheisen los gehebelt, die Isolierung dahinter zerfetzt worden. Die Deckenverkleidung war heruntergerissen worden. Auch das Linoleum und die Fußbodenbretter hatte man aufgerissen und hochgestemmt. Möbeltrümmer und Aktenordner bildeten eine kniehohe Schicht, die an einigen Stellen noch höher war.
Von oben bis unten verwüstet. Wie nach einem Bombeneinschlag.
Reacher sagte: »So gründlich wären Deputies aus dem L.A. County nicht gewesen.«
»Ausgeschlossen«, sagte Neagley. »Nicht mal andeutungsweise. Das waren die bösen Kerle, die sich hier umgesehen und sichergestellt haben, was Franz über sie besaß. Bevor die Deputies überhaupt hier waren. Vielleicht schon Tage vorher.«
»Die Deputies haben das hier gesehen und Angela nichts davon erzählt? Sie weiß nichts davon. Sie hat davon gesprochen, dass sie sein Zeug holen müsse.«
»Natürlich haben sie ihr das nicht erzählt. Wozu sie noch mehr aufregen?«
Reacher wich einen Schritt auf den Gehsteig zurück. Trat nach links und betrachtete die präzise goldene Schrift auf dem Glas der Tür: Calvin Franz – Diskrete Ermittlungen . Er hob eine Hand, deckte den Namen seines alten Freundes ab und stellte sich stattdessen David O’Donnell vor. Dann ein Namenspaar: Sanchez & Orozco . Und dann: Karla Dixon .
»Ich wollte, die anderen Kumpel würden ihre verdammten Anrufbeantworter abhören«, sagte er.
»Hier geht’s nicht um uns als Gruppe«, erklärte Neagley. »Das ist unmöglich. Dieser Fall ist über siebzehn Tage alt, und trotzdem war noch niemand hinter mir her.«
»Oder hinter mir«, sagte Reacher. »Franz allerdings auch nicht.«
»Was soll das heißen?«
»Wen hätte Franz angerufen, wenn er Schwierigkeiten gehabt hätte? Uns, versteht sich. Aber nicht dich, weil du jetzt viel zu elitär und vermutlich überlastet bist. Und auch nicht mich, weil mich außer dir kein Mensch hätte aufspüren können. Aber nehmen wir mal an, Franz hätte echt in der Scheiße gesessen und die anderen Kumpel angerufen. Weil sie leichter erreichbar waren als wir? Nehmen wir mal an, sie wären alle sofort hergekommen, um ihm zu helfen. Nehmen wir mal an, sie säßen alle im gleichen Boot …«
»Auch Swan?«
»Swan war räumlich am nächsten. Er wäre als Erster hier gewesen.«
»Möglich.«
»Wahrscheinlich«, sagte Reacher. »Wem hätte Franz sonst trauen sollen, wenn er wirklich jemanden brauchte?«
»Er hätte mich anrufen sollen«, meinte Neagley. »Ich wäre sofort gekommen.«
»Vielleicht warst du die Nächste auf seiner Liste. Vielleicht hat er anfangs geglaubt, sechs Leute seien genug.«
»Aber wer kann sechs Leute verschwinden lassen? Sechs unserer Leute?«
»Das mag ich mir gar nicht vorstellen«, sagte Reacher und schwieg dann. In der Vergangenheit wäre er mit seinen Leuten gegen jeden angetreten. Das hatte er oft genug getan. Und sie hatten stets gesiegt – gegen gefährlichere Gegner als die, denen man im Zivilsektor normalerweise begegnete. Gefährlicher, weil eine militärische Ausbildung im Allgemeinen
Weitere Kostenlose Bücher