Troubles (German Edition)
überquollen von ihrer Dienerschaft. Großartige Zeiten waren das! (Und damals wäre Sarah überhaupt nicht auf die Idee gekommen, einen Prachtburschen wie ihn abzuweisen.) Er trank noch ein wenig mehr Champagner und blickte in Sarahs graue Augen und dachte … also eigentlich wusste er nicht genau, was er dachte … vielleicht an alte Frauen, rabenschwarz, wie sie in den Mülltonnen wühlten.
Sarah senkte den Blick zu ihrem Glas; das Glas war leer, und sie schnippte müßig mit dem Fingernagel daran, was einen einzigen leisen, klaren Laut hervorbrachte, schmerzlich schön, ein Laut, den die zuckrig-wehmütigen Geigen vom Podium niemals übertönen konnten.
»Kommen Sie. Wir gehen nach oben und schauen, was die Kinder und Kinderfrauen damals gesehen haben.«
Er reichte ihr seinen Arm. Sie kamen an Bolton vorüber, der höflich mit einer Dame im Federhut parlierte. Er warf Sarah einen Blick mit spöttisch gehobener Augenbraue zu.
Auf dem Weg durchs Foyer und die Treppe hinauf hielt Sarah sich fest an seinen Arm und summte leise vor sich hin.
»Sie müssen mir alles erzählen, was es Neues gibt, Brendan«, sagte sie schließlich. »Wie ich höre, wirbt Edward um diese vernünftige Dame mit dem Schnurrbart?«
»Also hören Sie!«, protestierte der Major schwach. »Sie hat keinen Schnurrbart. Und für meine Begriffe hat er nicht ernsthaft um sie geworben; was aber auch egal ist, denn jetzt hat er damit aufgehört … Aber warum fragen Sie? Sie sind doch nicht etwa eifersüchtig?«
»Schauen Sie mich an, Brendan. Sieht man mir nicht auf den ersten Blick an, dass ich über beide Ohren in ihn verliebt bin?«
Der Major blieb verdattert stehen. Ein paar Augenblicke lang betrachtete sie ihn mit ernster, tragischer Miene; dann, beim Anblick seines Gesichtsausdrucks, brach sie abrupt in Lachen aus – ein impulsives, spöttisches Gelächter, das übermütig von allen Wänden widerhallte.
Inzwischen waren sie am zweiten Treppenabsatz angelangt. Jetzt wieder selbstsicherer steuerte der Major sie den Korridor entlang und in eins der dunklen, nur vom Sternenlicht erhellten Zimmer. Sie gingen auf den Balkon; unter ihnen lag der Ballsaal, eine riesige, glitzernde Glaskuppel. Alle schickten sich eben zu einem weiteren Walzer an; das Orchester saß bereit zwischen den üppigen Farnwedeln, mit schimmernden Glatzen, gekrümmten Fingern, den Bogen zum Ansatz erhoben. Kaum waren die ersten Noten erklungen, drehten die Zwillinge sich auch schon auf der Tanzfläche, tauchten nur dann und wann unter im Licht eines der Kronleuchter, die wie Sonnen strahlten. Gleich darauf kamen drei Männer der Hilfstruppen mit ihren Partnerinnen hinzu, Miss Bagley, Mrs. Bates und eine sichtlich verängstigte Mrs. Rice. Der Major beobachtete sie und machte sich Sorgen, dass die jungen Männer ihren Scherz zu weit treiben könnten. Das Klirren von zerbrechendem Glas drang bis zu ihnen nach oben vor – aber es war nur ein junger Bursche, der ungeschickt ein Tablett mit leeren Gläsern zu Boden gestoßen hatte.
»Mir wird kalt«, sagte Sarah mit einem Schaudern. »Wir wollen wieder nach drinnen gehen.«
In dem dunklen Zimmer fasste der Major Sarah am Arm und küsste sie, passend zu seiner Stimmung, traurig und optimistisch zugleich. Es war, hatte er das Gefühl, einer jener Abende, an denen noch nicht alles entschieden war (wie es sonst meistens ist); an denen man sich nicht sagen musste: wenn ich mir dich ansehe und wenn ich mir mich ansehe, wie sollen wir da je zueinander kommen?
»Bald geht der Mond auf. Ich will Ihnen mein Lieblingszimmer zeigen.«
Als er die Tür zur Wäschekammer öffnete, kam ein mächtiger Schwall heißer Luft heraus und hüllte sie ein. Es war eine milde Nacht, in der Küche unten brannte schon seit Stunden das Herdfeuer für die Vorbereitung des Abendessens, und so war hinter der verschlossenen Tür schon den ganzen Nachmittag lang die Temperatur gestiegen. Aber Sarah hatte ja gesagt, ihr sei kalt. Der Major ging hinein und entzündete die Kerze bei seinem Kissennest am Fußboden. Mit einer Handbewegung bedeutete er Sarah, sie solle Platz nehmen in dieser Höhle. Sie blickte ein wenig überrascht, setzte sich aber doch und murmelte: »Es ist schrecklich warm hier drin.«
Der Major war wild entschlossen, aber er wusste nicht so recht, was er als nächstes tun sollte. Zunächst einmal hätte er gern seine Jacke ausgezogen (eigentlich hätte er gern seine sämtlichen Kleider ausgezogen), fürchtete aber, dass Sarah beim
Weitere Kostenlose Bücher