Troubles (German Edition)
Charity. Sie hielt es in die Höhe, auf der Suche nach den Kerzen des Majors. Gleich darauf verlosch das Streichholz, wieder war alles finster; dann wurde ein weiteres angerissen, diesmal auf der anderen Seite des Bettes, und Charity zündete die Kerzen an.
»Wir trauen uns nicht nach unten. Wir fürchten uns zu sehr.«
Der Major konnte sich gerade nicht mehr an die Ereignisse der vergangenen Stunden erinnern und wartete mit einer instinktiven Furcht darauf, dass das Bewusstsein den ersten Stein ins Rollen brachte, aus dem die Lawine der Erinnerung entstehen würde. Und dann, als ein Ereignis nach dem anderen auf ihn niederprasselte, hievte er seine bleischweren Glieder über die Bettkante und rieb sich benommen die Augen. Er stand auf und suchte eine ganze Weile erfolglos nach seinem Morgenmantel. Dann merkte er, dass er ihn noch anhatte.
»Ich gehe nach unten und sehe nach. Ihr wartet besser hier und schließt die Tür ab, wenn ihr jemanden kommen hört. Legt euch in mein Bett, sonst erkältet ihr euch noch.«
Ihm schien, als würde dieses Herumtappen in den dunklen, leeren Korridoren des Majestic nie ein Ende nehmen. Wie spät war es? Es müsste doch längst hell sein! Aber das einzige Licht in den schwarzen Fensterscheiben, an denen er vorüberkam, war der Widerschein seiner Kerzenflamme.
Nach der Dunkelheit auf dem Korridor kam ihm das Arbeitszimmer gleißend hell vor. Noch immer mit der Kerze in der Hand und ohne auf die heißen Wachstropfen zu achten, die ihm über die zusammengekrampften Finger liefen, stand der Major im Türrahmen und musterte mit entsetztem Blick das bizarre Schlachtfeld, das sich ihm dort bot. Der Boden zu seinen Füßen war übersät mit Glasscherben und angelaufenen Silberpokalen. Eine gerahmte Karikatur von Spy, die früher über dem Schreibtisch gehangen hatte, lag auf dem Boden, das Glas mit Spinnweben überzogen; der Schreibtisch selbst war leergefegt bis auf ein umgestürztes Tintenfass, aus dem noch ein gleichmäßiges schwarzes Rinnsal floss und auf den staubigen Teppich tropfte. Selbst die Luft zeigte Spuren von dem Chaos im Raum – sie war milchig-trüb von weißem Staub; Torfasche war aus den Glutresten des Feuers (wo zudem ein Männerschuh schwelte) quer durch das halbe Zimmer gestoben. Die Anrichte neben dem Kamin war vornüber gekippt, sodass sich ein Regalbrett mit Büchern und eine halbe Reihe umgedrehter, staubiger Brandygläser auf den Boden ergossen hatten. Noch während er hinsah, rutschte ein weiteres Glas langsam nach vorne, glitt vom obersten Regalbrett, drehte sich langsam in der Luft und zerstob in einem schillernden Scherbenregen, als es auf die Kante der Anrichte traf.
Mitten in all diesem Durcheinander saß Sarah, allein. Sie sagte ruhig: »Gehen Sie weg, Brendan. Es ist auch so schon alles schwierig genug.« Und als der Major sich weder rührte noch einen Ton sagte, fügte sie heftig hinzu: »Edward ist ein Hampelmann, eine lächerliche, armselige Gestalt. Heilige Muttergottes! Und mein Vater … Der dachte anscheinend wirklich, er könnte Edward umbringen … Natürlich hat er auch das nicht fertigbekommen.«
Sarah saß mit untergeschlagenen Beinen in dem dicken Ledersessel. Um die Schultern hatte sie eine riesige, khakifarbene Wolldecke gelegt, die in einer Art Kegel bis zum Boden hinab-hing. Ein nackter Arm raffte die Decke unter dem Kinn. Der Major, schmerzlich getroffen von der Nacktheit dieses Arms, wandte den Blick ab, und prompt sah er, noch schmerzlicher getroffen, eine Tür neben dem Schreibtisch, die sich zu einem Nebenzimmer öffnete. Er hatte diese Tür noch nie offen gesehen. Dahinter erspähte er ein Eisenbett und ein Gewirr von zerwühlten Laken.
»Ist jemand verletzt?«
»Verletzt?«, rief Sarah schrill. »Wenn sie sich wenigstens verletzt hätten, dann hätten sie nicht ganz so lächerlich ausgesehen … Wieso sind alle hier so lächerlich? Ja, auch Sie sind lächerlich, wie Sie mich mit Ihren Schafsaugen anstarren … Erraten Sie, was passiert ist? Hat er Edward die Kehle durchgeschnitten? Das wäre doch immerhin etwas … aber nein, nicht einmal das! Immer wieder hat er gebrüllt, dass seine Ehre besudelt ist … als hätte er je so etwas wie Ehre gehabt! Er brüllte, Edward habe mich für dreißig Silberlinge gekauft … Darauf wusste Edward natürlich keine Antwort. Oh, sie widern mich an, alle beide. ›Hören Sie, Mr. Devlin, können wir nicht vernünftig über die Sache reden?‹ Und mein Vater war natürlich betrunken, sonst
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