Troubles (German Edition)
Mädchen! Edward ist viel zu streng mit ihnen.«
Dieses Urteil änderte er jedoch ein oder zwei Tage später. Als weitere Strafmaßnahme hatte Edward eine tägliche Unterrichtsstunde mit Evans, dem Hauslehrer, angeordnet, und sie fand im Schreibzimmer statt. Als er an jenem Nachmittag an der offenen Tür vorüberkam, hielt der Major inne und hörte zu.
»Wie sagt man das auf Französisch, Mr. Evans? ›Von meiner Jacke fallen die Knöpfe ab, und ich brauche einen sauberen Hemdkragen‹?« fragte eine der beiden mit unschuldigem Ton.
»Wie sagt man ›Ich habe Pickel am Hals, weil ich mich niemals wasche‹?«
»Wie sagt man ›Ich bilde mir wunders was ein, wer ich bin‹?«
»Was bedeutet
›amavi puellam‹?«‹
»Wie sagt man auf Latein, Mr. Evans: ›Mein schmieriges bleiches Gesicht wird puterrot‹?«
»Können Sie mir den Bleistift anspitzen, Mr. Evans? Der ist doch tatsächlich schon wieder abgebrochen.«
»Wenn Sie so weitermachen, sage ich es Ihrem Vater.«
»Was denn weitermachen? Wir stellen Ihnen doch nur Fragen.«
»Dürfen wir denn nicht mal mehr Fragen stellen?«
Der Major ging weiter. Er hatte genug gehört.
Später am selben Nachmittag machte er mit Miss Johnston einen kleinen Spaziergang durch den chinesischen Garten (»Wenn Sie mich fragen, das ist ein irisch-chinesischer Garten«, sagte Miss Johnston und ließ den pikierten Blick über die ungepflegten Unkrautbeete schweifen), und dabei lief ihnen ein junger Mann in Jacke, Hosen und Gamaschen aus Khaki über den Weg, auf dem Kopf eine flache Kappe mit der gekrönten Harfe, dem Abzeichen der königlich-irischen Polizei. Dem Major fiel der Patronengurt auf, den er schräg über die Brust trug, die Bajonettscheide an seinem schwarzen Ledergürtel und das offene Pistolenhalfter am rechten Oberschenkel. Irgendwie war es schockierend, einem solchen Mann plötzlich in der friedlichen Wildnis des Gartens zu begegnen, eine unvermittelte, unerfreuliche Erinnerung an die Vorfälle, von denen der Major in den Zeitungen gelesen hatte, die er sich aber nie so recht vorstellen konnte, genauso wenig wie er sich jetzt noch den Mord an dem alten Mann vorstellen konnte, dessen Zeuge er in Ballsbridge geworden war. Im Vorübergehen grinste der junge Mann dreist und zwinkerte dem Major zu, wozu er sich mit dem Finger von Ohr zu Ohr fuhr.
»Rotzlöffel!«, zischte Miss Johnston empört. »Wenn man sich das vorstellt, dass die Polizei solche Leute nimmt!«
Und der Major musste alle seine Höflichkeiten aufbieten, sich nach Neffen und Nichten erkundigen und nach ihrer Gesundheit (»Frostbeulen selbst im Hochsommer in diesem Hotel, Major. Nie im Leben habe ich solche Zugluft …«), bis ihr gesträubtes Gefieder sich wieder legte.
Und doch seien diese Männer durchweg ehemalige Offiziere, versicherte Edward ihm später. Natürlich könne man einen Offizier von 1920 nicht mit einem von 1914 vergleichen. Viele vom alten Schlag waren im Schlachtengetümmel umgekommen (gerade ihre besten Tugenden, die Tapferkeit, das Pflichtbewusstsein, die Ritterlichkeit und so weiter waren ja wie Bananenschalen auf dem Weg zum Überleben gewesen) und mussten ersetzt werden. Es war auch nicht zu leugnen, dass diese neuen Männer, und die große Zahl, die noch nachkommen und spärliche sechs Wochen Polizeiausbildung in Curragh absolvieren sollte, unter den zahllosen aus dem Militärdienst entlassenen Offizieren, die sich jetzt wieder ihren Lebensunterhalt verdienen mussten, gerade die waren, die nirgendwo sonst untergekommen waren. Aber trotzdem; man machte zwar Zugeständnisse (und Edward war immer bereit, denen, die in den Gräben gestanden hatten, Zugeständnisse zu machen), aber es gab doch Grenzen. Die Offiziere vom alten Schlag, die zugleich auch Gentlemen gewesen waren, wären nie auf die Idee gekommen, alte Damen zu erschrecken. So sehe er, Edward, das zumindest. Und was sage der Major dazu?
Der Major pflichtete ihm bei, dachte aber bei sich, dass diese »Männer, die in den Gräben gestanden hatten« und ein Pfund pro Tag dafür bekamen, dass sie ein paar wildgewordene Irländer in Schach hielten, vielleicht Mühe hatten, überhaupt etwas ernstzunehmen – ob es nun Iren waren, alte Damen oder sie selbst.
Allerdings konnte er nicht leugnen, dass ihre Gegenwart ihn beunruhigte. Diese Männer (jeder für sich ein reizender Bursche, wie er von Edward hörte) waren unberechenbar und hatten noch nicht zum geordneten Leben der Friedenszeiten zurückgefunden – nicht
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