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Trügerische Ruhe

Trügerische Ruhe

Titel: Trügerische Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Sie beschleunigte, und die Limousine brach auf der frischen Schneedecke hinten aus. Sie hörte, wie irgendwelche Gegenstände im Kofferraum hin und her rollten, hörte das Klirren von Glas auf Glas, während sie sich in die Kurven legte. Sie fuhr zu Lincolns Haus und brachte den Wagen in der Auffahrt mit einem Rutscher zum Stehen.
    Das Haus war dunkel.
    Sie stieg aus, stolperte die Verandastufen empor und trommelte an die Haustür. »Lincoln! Lincoln, ich muß mit dir reden! Du bist immer noch mein Mann!« Sie klopfte und klopfte, aber kein Licht ging an, und die Tür war abgeschlossen. Er hatte ihr den Schlüssel weggenommen, das Schwein, und sie konnte nicht hinein.
    Sie ging zum Wagen zurück und blieb lange sitzen, während der Motor und die Heizung liefen. Es schneite immer noch, aber es war nur ein feiner Puder, der sich lautlos auf die Windschutzscheibe senkte. Samstagabend war nicht Lincolns übliche Schicht, wo war er also? Sie überlegte, wo er eventuell den Abend verbringen könnte, und der Gedanke an die verschiedenen Möglichkeiten nagte mit spitzen Zähnen an ihr. Sie war nicht dumm; sie wußte, daß Fern Cornwallis immer auf eine Gelegenheit lauerte, sich Lincoln zu schnappen. Es mußte noch andere Frauen geben, Dutzende von Frauen, die einen Cop in Uniform unwiderstehlich finden würden. Mit wachsender Erregung schaukelte Doreen auf ihrem Sitz vor und zurück und begann zu stöhnen. Komm nach Hause. Komm nach Hause. Komm zurück zu mir.
    Die Heizung reichte nicht aus, um die Kälte zu vertreiben, die in ihre Knochen kroch, in ihre Seele. Sie sehnte sich nach der Wärme eines Brandys, nach dem angenehmen Gefühl, wenn der Alkohol durch ihre Adern schoß. Dann fiel ihr das gläserne Klirren im Kofferraum ein. Bitte, laß es etwas Trinkbares sein. Etwas Stärkeres als Mineralwasser.
    Sie stieg aus, wankte um den Wagen herum und öffnete den Kofferraum. Es dauerte eine Weile, bis sie etwas erkennen konnte, und selbst dann fragte sie sich noch, ob sie vielleicht Halluzinationen hatte. So schön, so grün. Wie Gläser voller Smaragde, die in der Dunkelheit leuchten. Sie griff nach einem der Gläser, doch in diesem Moment hörte sie das Geräusch eines Motors und drehte sich um.
    Die Scheinwerfer des Wagens blendeten sie. Benommen hob sie die Hand, um ihre Augen zu schützen.
    Eine Gestalt stieg aus dem Wagen.
    Dr.Francis Clevenger war eine Miniaturausgabe von einem Mann, grazil gebaut und mit einem Spatzengesicht; in seinem zu großen Laborkittel, der von seinen schmalen Schultern herabhing, sah er aus wie ein Kind, das mit dem Regenmantel seines Vaters spielt. Sein völlig bartloses Gesicht trug zusätzlich dazu bei, daß er viel jünger wirkte, als er tatsächlich war. Er glich eher einem blassen Teenager als einem staatlich geprüften Pathologen. Mit einer schnellen, eleganten Bewegung erhob er sich von seinem Stuhl, um Claire und Dr.Rothstein, Warren Emersons Neurochirurgen, zu begrüßen.
    »Diese Schnitte sind so was von stark!« sagte Clevenger.
    »Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Kommen Sie und werfen Sie einen Blick drauf!« Er zeigte auf ein Lehrmikroskop mit zwei Okularen.
    Claire und Rothstein setzten sich einander gegenüber an das Mikroskop und blickten durch die Okulare.
    »Also, was sehen Sie?« fragte Clevenger. Er tanzte förmlich vor freudiger Erwartung.
    »Ein Zellengemisch«, meinte Rothstein. »Astrozyten, schätze ich mal. Und etwas, das wie in sich verschlungenes Narbengewebe aussieht.«
    »Das ist schon ein Anfang. Dr. Elliot, sehen Sie irgend etwas Bemerkenswertes?«
    Claire stellte ihr Okular schärfer ein und betrachtete den Gewebeschnitt. Mit Hilfe dessen, was ihr vom Histologiekurs an der Universität noch in Erinnerung geblieben war, konnte sie die meisten der Zellen identifizieren. Sie erkannte die sternförmigen Astrozyten, daneben Makrophagen, die als Räumkommando nach einer Infektion für Ordnung zu sorgen hatten. Sie sah auch, was Rothstein bemerkt hatte: kleine Wirbel aus Granulationsgewebe, Spuren einer Vernarbung; möglicherweise die Folge einer akuten Entzündung.
    Sie griff nach dem Positionsregler des Objektträgers und begann das Bild zu verschieben, um nach weiteren Zellen Ausschau zu halten. Ein neues Muster rückte in ihr Blickfeld – eine mehrere Zellen dicke Spirale aus faserigem Material, die so etwas wie eine winzige Schwarte bildete.
    »Ich sehe hier eine Verkapselung«, sagte sie. »Eine Schicht aus Narbengewebe. Ist das vielleicht eine

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