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Trügerische Ruhe

Trügerische Ruhe

Titel: Trügerische Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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machte ein paar Schritte nach vorne, patschte durch Pfützen, bis sie in der Mitte der Kammer stand. Dann mußte sie einen Moment lang die Augen schließen; das Gewoge dieser Sterne über ihrem Kopf gab ihr das Gefühl, daß der Boden unter ihren Füßen schwankte.
    Die Quelle, dachte sie mit Staunen. Max hat die Quelle der Parasiten gefunden, die Höhle, die diese Spezies wahrscheinlich seit Jahrtausenden beherbergt. Die Wärme, die durch organische Verwesung und durch die Körper Hunderter warmblütiger Fledermäuse erzeugt wurde, würde für ein stabiles Klima in diesem Lebensraum sorgen, unabhängig vom Wechsel der Jahreszeiten.
    Sie nahm ihre Taschenlampe heraus und richtete den Strahl auf einen Haufen grüner Sterne an der Wand. Im Lichtkegel der Lampe verschwanden die Sterne, und an ihrer Stelle sah sie einen Klumpen Würmer, der wie eine vielarmige Qualle leise zitternd von der tropfenden Wand herabhing. Sie schaltete die Lampe aus. In der Dunkelheit tauchten die Sterne wieder auf und vereinigten sich mit der riesigen grünen Galaxie.
    Biolumineszenz. Die Würmer benutzten Vibrio fischen als ihre Lichtquelle. Jedesmal, wenn diese Höhle überflutet wurde, wurden Wurmlarven und Vibrio zusammen in den Bach gespült. In den See. Wir werden nur zufällig zu Wirtsorganismen, dachte sie. Einmal im See gebadet, aus Versehen etwas Wasser inhaliert, und die Larve konnte durch die Nasengänge in ihren menschlichen Wirt gelangen. Dort würde sie sich in einer Nebenhöhle festsetzen und heranwachsen, wobei sie ein Hormon absonderte, bis sie schließlich abstarb. Das würde den Peak in den Gaschromatogrammen von Scotty Braxtons und Taylor Darnells Blut erklären: ein Hormon, ausgeschieden von diesem Parasiten.
    Tutwiler und vielleicht auch die Leute bei Anson wußten von diesem Hormon und von den Würmern, doch sie hatten ihr nichts gesagt. Sie hatten sie und ihren Sohn durch die Hölle gehen lassen.
    Wütend griff sie sich einen Stein vom Boden und schleuderte ihn gegen die grünen Sterne. Er prallte von der Höhlendecke ab und fiel auf den Boden, wo er mit einem merkwürdig metallischen Scheppern landete. Wieder rauschte ein Schwall Fledermäuse aus der Kammer hinaus.
    Sie stand einen Augenblick reglos da und versuchte zu verarbeiten, was sie gerade gehört hatte. Vorsichtig arbeitete sie sich durch die Dunkelheit zum anderen Ende der Kammer vor, wo sie den Aufprall des Steins gehört hatte. Hier gab es nicht so viele Würmer, und ohne ihr Leuchten schien die Finsternis immer dichter zu werden, je weiter sie vordrang.
    Sie schaltete die Taschenlampe wieder ein und leuchtete auf den Boden. Ein Gegenstand reflektierte das Licht. Sie beugte sich vor, um ihn genauer sehen zu können. Es war ein Camping-Kaffeebecher aus Blech.
    Direkt daneben sah sie die Spitze eines Männerstiefels.
    Sie zuckte zurück und rang nach Luft. Der Lichtstrahl wackelte wild hin und her, als sie in Panik die Lampe hob und sie auf Max Tutwilers blicklose Augen richtete. Er lag zusammengesunken am Boden, den Rücken an die Höhlenwand gelehnt. Die Beine waren der Länge nach ausgestreckt. Schaum war aus seinem Mund geflossen und auf seine Jacke getropft. Dort hatte er sich mit dem dunkleren Blut vermischt, das aus der klaffenden Schußwunde in seiner Kehle geströmt war.
    Sie stolperte zurück, drehte sich um und trat in eine knietiefe Pfütze.
    Lauf. Lauf.
    Sofort war sie wieder auf den Beinen und lief in Panik auf den Durchgang zur ersten Kammer zu. Fledermäuse flatterten an ihrem Kopf vorbei. Sie schlängelte sich unter dem Bogen durch und rollte in die Eingangskammer hinein. Die Wände warfen das Echo ihres eigenen keuchenden Atems zurück. Auf Händen und Knien krabbelte sie wie ein verschrecktes Insekt auf den Eingang zu.
    Die Öffnung wurde heller, rückte näher.
    Dann streckte sie den Kopf hinaus ins Tageslicht. Sie sog gierig die frische Luft ein und blickte auf. In diesem Moment krachte der Schlag auf ihren Schädel herab.

24
    »Wir haben Dr. Elliot den ganzen Tag noch nicht gesehen, Chief Kelly«, sagte die Schwester. »Und offen gesagt, wir fangen allmählich an, uns Sorgen zu machen.«
    »Wann haben Sie zuletzt mit ihr gesprochen?«
    »Die Mittagsschicht sagt, daß sie so gegen zwölf Uhr angerufen hat, um sich nach Noahs Zustand zu erkundigen. Aber seitdem haben wir nichts von ihr gehört, und wir versuchen schon seit Stunden, sie anzupiepsen. Wir haben auch bei ihr zu Hause angerufen, aber da meldet sich nur der Anrufbeantworter.

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